Das Raetsel von Flatey
Passagier erinnern. Auf dieser Fahrt werden wohl kaum viele
Fahrgäste an Bord gewesen sein.«
Kjartan nickte zustimmend. »Und
was ist mit dem Bauern in Endenkate? Du hast gesagt, er würde
sich immer notieren, wer mit dem Postschiff kommt und geht. Meinst
du, dass er uns da weiterhelfen kann?«
»Ganz richtig«, sagte
Grímur. »Wir werden nach dem Kaffee mal bei Valdi
vorbeischauen.«
*
... Als Flateyjarbók
niedergeschrieben wurde, waren große phonetische
Veränderungen im Isländischen im Gange. Das Buch ist aber
nach diversen anderen Handschriften kompiliert worden, älteren
und jüngeren. Die Orthografie ist deswegen eine Mischung aus
Altem und Neuem und völlig inkonsequent. Das ist im
Übrigen in vielen isländischen Handschriften der Fall,
denn die Schreiber kannten weder Orthografieregeln noch
Wörterbücher. Jede Schreibschule ging ihre eigenen Wege,
obwohl man seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts sehen kann, dass
der Erste grammatische Traktat aus der Mitte des 12. Jahrhunderts,
der sich um eine Vereinheitlichung der Orthografie bemühte,
Auswirkungen gehabt hat. Trotzdem schrieb aber jeder, wie er es
gewohnt war, und so blieb es auch für die nächsten
Jahrhunderte ...
Dreizehn
Nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Tote
aller Wahrscheinlichkeit nach Professor an der Universität in
Kopenhagen und ein angesehener Mann in seinem Heimatland gewesen
war, wurde der Nachricht vom Leichenfund auf einer einsamen Insel
im Breiðafjörður seitens der Behörden in
Reykjavík mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Zwar war die
Angelegenheit in der Tat gleich nach Bekanntwerden des Leichenfunds
an die Kriminalpolizei weitergeleitet worden, aber man wartete ab,
bis die sterblichen Überreste untersucht worden waren und die
Leute vor Ort nach besten Kräften weitere Informationen
herbeigeschafft hatten. Als sich aber die Identität des Toten
herausgestellt hatte, schien es angebracht, einen Kriminalbeamten
mit der Ermittlung zu beauftragen. Der Sache musste auf den Grund
gegangen werden, ein Rapport musste her.
Dagbjartur Árnason
gehörte nicht zu den fähigsten Kriminalpolizisten, und
das wusste er auch selbst ganz gut. Deswegen beklagte er sich nie,
wenn ihm ein Fall übertragen wurde, der in den Augen anderer
langweilig und unbedeutend war. Von solchen Fällen gab’s
nämlich mehr als genug. Er war auf kleinere
Scheckbetrügereien, Ladendiebstähle und andere Vergehen
dieser Art spezialisiert, und sie stellten sein Hauptaufgabengebiet
dar. Dagbjartur galt als ziemlich träge und behäbig, aber
deswegen war er auch geduldig und gutmütig, was einem gut
zustatten kam, wenn man sich Informationen verschaffen musste, die
man nicht so schnell in den Griff bekam. Diese Eigenschaften
konnten auch bei der Ermittlung in größeren Fällen
von Nutzen sein, aber dabei tat er sich nicht immer leicht, die
Zusammenhänge zu sehen. Deswegen wurden ihm normalerweise nur
assistierende Aufgaben zugeteilt. Er war auch alles andere als
geschickt darin, hartgesottene Verbrecher zu
verhören.
Der Dienst habende Vorgesetzte rief
Dagbjartur nach dem Mittagessen zu sich und beauftragte ihn damit,
etwas über die Unternehmungen von Gaston Lund Ende August
vergangenen Jahres in Reykjavík herauszufinden. Hatte er
beispielsweise in einem der Reykjavíker Hotels
übernachtet? Hatte er Bekannte in der Stadt?
Dagbjartur fühlte sich etwas
dösig und schlapp. Nicht etwa, weil er sich in den
vorangegangenen Tagen überarbeitet oder sonst irgendwie
überanstrengt hätte, sondern er hatte sich schlicht und
ergreifend mittags an Fleischsuppe überfressen. Er war
nämlich davon ausgegangen, dass es ein lauer Tag werden
würde, an dem man sich noch ein wenig für das Wochenende
ausruhen konnte. Da wollte er nämlich seiner Frau im Garten
helfen, falls nicht eine Aufgabe auftauchen würde, die keinen
Verzug duldete. So etwas bedeutete Überstunden und mehr Geld
in der Lohntüte. Das konnte man immer gut
gebrauchen.
Äußerlich gesehen machte
Dagbjartur eine ziemlich unglückliche Figur, er war schmal um
die Schultern und wurde nach unten hin immer breiter. Der dicke
Bauch, die breiten Hüften und der schwere Hintern ließen
ihn kegelförmig wirken. Es bereitete ihm auch Schwierigkeiten,
passende Kleidung zu kaufen, und deswegen machte er einen ziemlich
seltsamen Eindruck. Die Hose, die offensichtlich auf
billigstmögliche Weise und ohne Sachverstand geweitet worden
war, wurde von schmalen Hosenträgern hochgehalten. Ein
dreifaches
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