Das Raetsel von Flatey
Doppelkinn zierte das Gesicht, aber seine Miene war
freundlich und verständnisvoll.
Außer Dagbjartur waren der
Gemeindevorsteher von Flatey und der Bevollmächtigte des
Bezirksamtmanns für den Barðaströnd-Bezirk mit dem
Fall befasst. Ganz offensichtlich nicht die Spitzenriege der
Polizei, aber zunächst einmal wollte man ihnen die Chance
geben, sich zu bewähren, bevor man weitere Beamte einsetzte.
Das Pfingstwochenende stand bevor, und viele hatten sich Urlaub
genommen. Sehr wahrscheinlich gab es für diesen Vorfall eine
ganz natürliche Erklärung, die bald ans Licht kommen
würden. Die Leute auf Flatey hatten aber bereits mehr
geschafft, als man erhoffen konnte, indem sie den Namen des Toten
festgestellt hatten, obwohl es anfangs sehr unklar gewesen
war.
Dagbjartur hatte auch erstaunlich
bald Erfolg mit seinen Nachforschungen in der Stadt. Er nahm ein
Taxi und fuhr schnurstracks zum Hotel Borg. An der Rezeption bat er
darum, das Gästebuch des Hotels in der Zeit von August bis
September des letzten Jahres einsehen zu dürfen. Ein gelassen
wirkender Empfangschef, ein Mann mittleren Alters, legte dem
Kriminalbeamten ein dickes Buch vor, das mit dem Vermerk 1959
versehen war, und öffnete es an der richtigen Stelle.
Dagbjartur begann Anfang August mit seiner Suche. Gewissenhaft las
er jeden einzelnen Namen und hörte erst beim letzten Gast am
10. September auf. Diese Lektüre brachte aber nichts zutage.
Gaston Lund hatte sich nicht in diesem Hotel eingetragen, aber
Dagbjartur zerbrach sich deswegen nicht den Kopf. Dann mussten eben
die anderen Hotels in der Stadt abgeklappert werden und auch die
Pensionen. Diese Aufgabe konnte sich mit ein bisschen Glück
zeitraubend gestalten.
Ȁhem, Entschuldigung.
Suchst du nach einem bestimmten Namen?«, fragte der
Empfangschef, nachdem Dagbjartur das Buch zugeklappt
hatte.
»Professor Gaston Lund,
Nationalität dänisch.«
Der Empfangschef nickte. »Ja,
Herr Lund ist im vergangenen Jahr bei uns zu Gast
gewesen.«
»Nanu? Wieso steht dann sein
Name nicht in diesem Buch?«
»Der Herr zog es vor, inkognito
zu reisen.«
»Und daran kannst du dich
erinnern, nach all dieser Zeit?« Dagbjartur war
erstaunt.
Der Empfangschef lächelte ein
wenig und sagte: »Ja, das war in der Tat eine
merkwürdige Eintragung. Für so etwas habe ich ein gutes
Gedächtnis.«
Er drehte das Gästebuch zu sich
herum und überflog es mit geübtem
Finger.
»Hier hat sich der Professor
eingetragen«, sagte er und wies auf eine Zeile unter dem
Datum 24. August.
Vorne stand etwas, was der Buchstabe
G sein konnte, aber dann war der Buchstabe zweimal durchgestrichen
worden, und dahinter stand in Druckbuchstaben »Egil
Sturluson«.
»Da ich selber Egill
heiße, war ich natürlich überrascht, den Namen so
geschrieben zu sehen«, sagte der
Empfangschef.
»Ja, ich verstehe, warum dir
der Name aufgefallen ist«, sagte Dagbjartur und nickte
zustimmend. Er zog sein Notizbuch hervor und schrieb sich diese
Informationen auf. »Du hast aber nichts dazu
gesagt?«
»Nein, der Mann machte einen
sehr guten Eindruck und war auch sofort damit einverstanden, die
erste Nacht im Voraus zu bezahlen und noch dazu eine Kaution zu
hinterlegen. Deswegen sah ich keinen Grund, Einwände
vorzubringen. Es lag auf der Hand, dass der Mann Däne war und
dazu etwas sonderlich. Wenn er nicht seinen richtigen Namen
verwenden wollte, hatte er bestimmt seine Gründe
dafür.«
»Aber woher weißt du
dann, dass er Gaston Lund hieß?«
Er hat im Speisesaal eine Rechnung
mit diesem Namen gegengezeichnet. Da hat er nicht aufgepasst. Weil
ich mich auch um die Hotelrechnungen kümmere, kann ich mich
daran erinnern. Einmal kam übrigens auch ein Mann, der sich
erkundigte, ob Professor Lund hier im Hotel
sei.«
»Und was hast du darauf
geantwortet?«
»Ich sagte, dass kein Gast
dieses Namens im Hause sei.«
»Und
warum?«
»Wo der Gast schon so viel Wert
darauf legte, inkognito zu bleiben, war das Hotel
selbstverständlich dazu verpflichtet, ihm dabei keinen Strich
durch die Rechnung zu machen. Außerdem hatte er das Hotel
bereits verlassen, als die Anfrage kam, also entsprach die Antwort
der Wahrheit.«
»Wann hat er das Hotel
verlassen?«
Egill schaute wieder in das
Gästebuch. »Er blieb zwei Nächte hier und reiste am
26. August ab. Er ließ einen Koffer bei uns zurück, den
wir für ihn aufbewahrt haben.«
»Hat er den Koffer
abgeholt?«
»Ich nehme an. Allerdings
nicht, während ich im Dienst war.«
»Wo wurde der
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