Das Raetsel von Flatey
Jackentasche gefunden und den der
Pfarrer identifiziert hatte. Er untersuchte die Buchstaben auf der
Rückseite und verglich sie mit den Buchstaben auf dem Blatt
mit den Fragen. Die Buchstaben waren genau dieselben und standen in
derselben Reihenfolge.
Nachdem Professor Gaston Lund sich
vom Pastor verabschiedet hatte, war er also in dieses Haus gekommen
und hatte den Schlüssel abgeschrieben. Das war aber
gemäß dem überlieferten Bann nicht gestattet. Und
ihm war in der Tat ein großes Unheil widerfahren. Kjartan
fühlte sich irgendwie unangenehm berührt. Er war
eigentlich dagegen, an solche Dinge zu glauben, aber das hier war
irgendwie nicht ganz geheuer.
Unter diesen Buchstabenreihen stand:
39 richtige Antworten sollen auf die gleiche Weise
zusammengefügt werden wie die 39 Buchstaben in der vierzigsten
Frage, und so soll das Gedicht dann vollendet
werden.«
Kjartan legte die Blätter wieder
zurück in das Buch. Er starrte lange auf den Zettel, den der
Verstorbene bei sich gehabt hatte, und beschloss dann, dass er in
dem Buch besser aufgehoben sei. Es war wahrscheinlich das
Klügste, Rücksicht auf diesen Aberglauben zu nehmen, dass
sich der Lösungsschlüssel in der Bibliothek befinden
müsse und sonst nirgends. Er würde sich nicht wohl
fühlen, wenn er ihn in der Tasche bei sich trüge, nachdem
er jetzt genau wusste, worum es ging. Das Buch hinterließ er
so, wie er es vorgefunden hatte. Dann machte er die Schublade
wieder zu. In Gedanken versunken trat er hinaus in den
Sonnenschein.
Was hatte Gaston Lund dazu
veranlasst, auf seinem Weg zum Schiff in die Bibliothek zu gehen
und den Lösungsschlüssel abzuschreiben? War er so
versessen darauf gewesen, das Rätsel zu lösen, dass er
wissentlich gegen das alte und strikte Tabu verstieß? Wie war
er in das verschlossene Haus gelangt?
*
»6. Frage: Kein Pferd vermochte
ihn zu tragen. Erster Buchstabe.
Rögnvald war mit Ragnhild,
der Tochter von Rolf nefja verheiratet, und ihr Sohn war Rolf, der
die Normandie eroberte. Er war so groß, dass kein Pferd ihn
zu tragen vermochte. Er wurde Gang-Rolf genannt. Von ihm stammen
die Grafen von Rouen ab und die englischen
Könige.
Die Antwort ist Rolf und der
Buchstabe ein R.«
Er sagte: »Gastons Antwort ist
Gang-Rolf, und deswegen steht bei ihm ein G.«
Dreiundzwanzig
Um die Mittagszeit hielt Kormákur Kolk zwei Stunden lang auf
dem Hügel bei der Fahnenstange vor der Kirche Ausschau, um
dann schnellen Schritts in den Ort hinunterzugehen und feierlich zu
verkünden, dass sich das Postschiff von Süden
nähere. Einige Männer machten sich mit zwei Leiterwagen
im Schlepptau auf den Weg zum Ende der Insel, und eine Kinderschar
lief vor ihnen her.
Benni vom Rathof legte den Pinsel von
sich, als er die Menschen gewahr wurde. Er marschierte aus alter
Gewohnheit mit, obwohl er am Kai eigentlich gar nichts zu suchen
hatte. Das Leben auf der Insel bot jedoch nur wenig Abwechslung
für einen jungen Mann, und deswegen war es ein gewisser
Zeitvertreib, wenn das Schiff einmal in der Woche anlegte.
Vielleicht war ja ein Bekannter unter den Passagieren. Vielleicht
kamen auch schon die ersten Saisonarbeiter, die sich für die
Sommermonate auf den inneren Inseln verdingt
hatten.
Als die ersten Kinder um die Ecke des
Gefrierhauses rannten, glitt das Postschiff in einem großen
Bogen um die äußersten Schären herum. Es war ein
altes, weiß gestrichenes Schiff aus Eiche, schwerfällig
und langsam, aber dem Kapitän gelang es trotzdem, geschickt an
den Kai heranzusteuern. Valdi von Endenkate nahm die Trossen
entgegen, die ihm vom Vorschiff zugeworfen wurden, und er legte die
Schlinge über den Polder auf dem Kai. Anschließend wurde
das Schiff auch hinten vertäut. Der kleine Nonni folgte seinem
Vater auf Schritt und Tritt, ohne sich um die anderen Kinder auf
dem Kai zu kümmern.
Zwei Jungen in Sonntagskleidern
standen an der Reling des Postschiffs und wurden bald auf den Kai
hinaufbefördert, mitsamt einem braunen Koffer, der außen
mit einem Strick verschnürt war. Eine ältere Frau nahm
sie in Empfang, umarmte sie beide gleichzeitig und nannte sie ihre
lieben Kleinen. Drei Postsäcke wurden aus dem Schiff
heraufgereicht und auf den einen Leiterwagen verladen. Ihnen
folgten drei Kästen mit Malzbier, und auf den anderen Wagen
wurden zwei Mehlsäcke gehievt. Das schien die ganze Fracht zu
sein. Was nach Stykkishólmur gehen sollte, würde erst
an Bord gebracht, wenn das Schiff später auf dem Rückweg
von den
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