Das Raetsel von Flatey
Tod bringen sollte. Hakon ließ einen
Treibholzklotz herbeischaffen und daraus einen Menschen schnitzen.
Dann wurde ein Mann getötet und ihm das Herz herausgerissen
und dem Holzmann eingesetzt. Sie zogen ihm Kleider an, nannten ihn
Thorgard und flößten ihm so viel Zauberkraft ein, dass
er einherging und mit den Leuten redete. Er wurde auf einem Schiff
nach Island geschickt und kam an, als man sich zum Allthing traf.
Eines Tages trat Thorleif der Dichter aus seinem Zelt und sah, wie
ein Mann von Westen her über den Öxará-Fluss kam.
Thorleif fragte ihn nach seinem Namen. Er nannte sich Thorgard, und
im gleichen Augenblick durchbohrte er Thorleif mit seiner
Hellebarde. Thorleif versetzte ihm einen Gegenhieb, und Thorgard
bohrte sich kopfüber in die Erde, sodass man nur noch seine
Fußsohlen sah. Thorleif band sein Gewand fest um sich und
ging zurück zu seinem Zelt. Nachdem er von diesem Zwischenfall
berichtet hatte, warf er das Gewand ab, und seine Eingeweide
quollen heraus. Thorleif starb dann eines ruhmvollen
Todes.
Die Antwort ist Thorgard, und der
erste Buchstabe ist T.«
Zweiundzwanzig
Die Bibliothek der Prosperitätsstiftung für die Gemeinde
von Flatey steht auf dem höchsten Punkt der Insel, ein paar
Schritte hinter der Kirche. Kjartan betrachtete das Gebäude,
als er zu einem kleinen Tor an einer niedrigen Einzäunung kam.
Es war ein winziges Haus, das aus der Nähe vielleicht sogar
noch kleiner wirkte als von unten aus dem Dorf betrachtet. Als er
sich mit Hilfe des Schlüssels eingelassen hatte, stand er in
einem engen Raum, dessen Wände mit Bücherregalen
gesäumt waren. Gemeindevorsteher Grímur hatte Kjartan
gesagt, dass die wertvollsten Besitzstücke der Bibliothek,
alte Papierhandschriften, Tagebücher und Dokumente, schon
längst nach Reykjavík gebracht worden seien, wo sie in
der Nationalbibliothek aufbewahrt würden. Übrig geblieben
war nur die übliche volkstümliche Literatur, die immer
noch von den Gemeindemitgliedern ausgeliehen und gelesen wurde.
Kjartan inspizierte die Buchrücken und schaute sich ein paar
Bücher an. Darunter waren Der Fuhrmann des Todes von Selma
Lagerlöf, Und das Schiff geht weiter von Nordahl Grieg, Anna
aus der Heidekate von Elínborg Lárusdóttir.
Nicht gerade die aktuellsten Bücher.
Es konnte kein Zweifel bestehen, wo
die Munksgaard-Ausgabe von Flateyjarbók aufbewahrt wurde. An
der Nordseite stand zwischen den Fenstern ein niedriger Tisch mit
einer Glasplatte, und in dem Fach darunter lag ein großes
aufgeschlagenes Buch. Kjartan betrachtete die Seiten durch das
Glas. Es waren schwarzweiße Faksimiles der
Manuskriptblätter in Originalgröße. Die Handschrift
war zwar klar und deutlich, aber trotzdem konnte Kjartan die
Schrift nicht entziffern. Er öffnete die Schublade und
blätterte in dem Buch. Ganz am Anfang fand er ein paar alte,
handbeschriebene Blätter, die er lesen konnte. Auf der ersten
Seite stand zuoberst »Ænigma Flateyensis«
geschrieben und darunter ein Gedicht:
Finster wird das Land,
doch die Fahrt fort
dauert
zum fernen Todesstrand,
auch den Mutigen
schauert.
Auf verwunschener Fahrt
legt man sich in die
Riemen;
dieses Spiel ist hart,
will nicht jedem
ziemen.
Finster ist die Not,
nach Lösung zu
streben:
Umsonst ist der Tod,
doch er kostet das
Leben.
Die letzten beiden Zeilen waren mit
einer anderen Schrift geschrieben als die vorhergehenden, und
darunter stand zu lesen: »So hätte der Dichter vollenden
wollen.«
Darunter befand sich ein eigenartiges
Bild, das mit einem groben Bleistift gezeichnet worden war.
Wahrscheinlich das magische Zeichen, von dem Hallbjörg geredet
hatte, dachte Kjartan.
Auf den nächsten Seiten standen
irgendwelche Fragen, insgesamt 40, die mit einer schönen und
leserlichen Handschrift geschrieben waren:
1 - Todesursache von König
Harald Gormsson. Neunter Buchstabe.
2 - Der Mörder, der gegessen
wurde. Erster Buchstabe.
3 - Setzte dem Ladejarl eine Laus in
den Arsch. Erster Buchstabe.
Kjartan fand in seiner Tasche die
Antworten von Professor Lund, die er beim Pastor bekommen hatte,
und er verglich sie mit den Fragen.
1- Pfeil im Arsch –
R
2- Bullenkalb – B
3 - Neidung –
N
Kjartan konnte überhaupt nichts
damit anfangen. Er fand die Fragen merkwürdig, und die
Antworten sagten ihm gar nichts. Die vierzigste und letzte Frage
lautete so: Was ist das weiseste Sprichwort? Und dahinter standen
Buchstaben in drei Reihen:
Kjartan nahm den Zettel, den
Jóhanna in Gaston Lunds
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