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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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seine Wangen brannten, als hätte ihn jemand fest geschlagen.
    »Das ist doch lächerlich«, brach es aus ihm heraus. »Sie sind doch verrückt.«
    »Ja? Tatsächlich?«, fragte Agent Martin zurück. »Sehe ich so aus? Klinge ich so?«
    Jeffrey atmete einmal tief ein und ließ die Luft mit einem Zischen ganz langsam zwischen den zusammengebissenen Zähnen entweichen. »Mein Vater«, erklärte er so besonnen wie möglich, um über den Strudel widerstreitender Gefühle ein wenig Herr zu werden, »mein Vater ist seit über zwanzig Jahren tot. Er hat Selbstmord begangen.«
    »Aha. Sind Sie sich dessen sicher?«
    »Ja.«
    »Haben Sie seine Leiche gesehen?«
    »Nein.«
    »Waren Sie bei seiner Beerdigung?«
    »Nein.«
    »Haben Sie irgendeinen Polizeibericht oder die Bescheinigung eines Coroner gelesen?«
    »Nein.«
    »Und woher nehmen Sie dann die Sicherheit?«
    Jeffrey schüttelte den Kopf. »Ich gebe nur wieder, was man mir gesagt hat und was ich geglaubt habe. Dass er gestorbenist. Nicht weit von unserem damaligen Haus in New Jersey. Wie und wo genau, weiß ich allerdings nicht mehr. So genau wollte ich es gar nicht wissen.«
    »Klingt ja alles mächtig überzeugend«, versetzte Martin ruhig und verdrehte mit einem müden Lächeln die Augen.
    Aus dem Grinsen des Polizisten sprach mehr Wut und Drohung als Sinn für Humor. Jeffrey machte den Mund auf, um noch etwas zu sagen, überlegte es sich aber anders.
    Nach ein paar Sekunden zog Martin die Stirn in Falten und sagte: »Verstehe. Sie können sich nicht mehr erinnern, wo Ihr Vater gestorben ist oder auch wann. Oder wie. Ich meine, Selbstmord kann alles Mögliche heißen. Hat er sich erschossen? Erhängt? Ist er vor einen Zug gesprungen? Oder von einer Brücke? Hat er einen Abschiedsbrief hinterlassen? Oder vielleicht ein Video? Wie steht’s mit einem Testament? Wissen Sie alles nicht, was? Aber Sie sind ganz sicher, dass er gestorben ist, und zwar nicht an seinem Wohnort, aber auch nicht allzu weit davon weg. Würden Sie das als wissenschaftlich erwiesen bezeichnen?«, fragte er sarkastisch.
    Der Professor ließ die Frage eine Weile im Raum stehen, bevor er sie beantwortete.
    »Was ich weiß, das weiß ich aus einem einzigen Gespräch mit meiner Mutter. Sie hat mir gesagt, man hätte sie unterrichtet, er habe sich umgebracht, und über die Gründe wüsste sie nichts. Soweit ich mich entsinne, hat sie mir nicht gesagt, wie sie von seinem Tod erfahren hat, und ebenso wenig kann ich mich erinnern, sie danach gefragt zu haben. Wie dem auch sei, sie hatte keinen Grund, mich anzulügen und in die Irre zu führen. Wir haben nicht oft über meinen Vater gesprochen, folglich sah ich auch keinen Grund, den genauen Umständen nachzugehen. Ich machte einfach weiter, als wäre nichts gewesen, das heißt, ich widmete mich meinem Studium. DerLehre. Meiner Doktorarbeit. Er spielte in meinem Leben keine wichtige Rolle mehr. Und zwar seit meiner frühen Kindheit. Ich kannte ihn nicht, und ich wusste auch nicht viel von ihm. Er war nur aufgrund eines einzigen Geschlechtsakts mein Vater und nicht, weil ich zu ihm in irgendeiner Beziehung stand. Als er starb, hat mich das nicht im Mindesten berührt. Es war, als erführe ich von irgendeinem entfernten Ereignis, das auf mein Leben praktisch keinen Einfluss hatte. Etwas, das irgendwo in einem anderen Teil der Welt passierte. Er war eine Chiffre, eine leere Hülle. Er existierte praktisch nicht. Eine vage Erinnerung. Ich trage nicht einmal seinen Namen.«
    Agent Martin lehnte sich in dem riesigen Sessel zurück, der ihn trotz seiner beträchtlichen Körpermasse zu verschlucken schien. Er stützte sich auf und setzte sich bequem zurecht. »Verflucht noch mal«, murmelte er, »in dem Ding könnte man wohnen. Ist glatt noch Platz für eine Küche.« Er sah Jeffrey an.
    »Nichts von alledem, was Sie da gerade gesagt haben, trifft auch nur annähernd die Wahrheit, hab ich recht, Professor?«, fragte er hemdsärmelig.
    Jeffrey starrte sein Gegenüber an und versuchte, den Mann klarer zu sehen, so wie ein Landvermesser, der plötzlich den Werten nicht mehr traut, die seine Instrumente ermitteln, und der deshalb mit bloßem Auge entlang einer gedachten Linie selbst Maß nimmt. Bis dahin hatte er Martin nur flüchtig betrachtet und sich ein schemenhaftes Bild von ihm gemacht, doch jetzt schien es ratsam, seinen Eindruck zu überprüfen. Er bemerkte, dass die Brandnarben, die Hände und Hals des Detective entstellten, jedes Mal in gedämpftem Rot

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