Das Rattenloch
er auch Schritte hinter sich. Sie waren kurz gesetzt worden. Wie bei einem kleinen Menschen, einem Kind. Suko blieb stehen und drehte sich um. Aber auch da bekam er nichts zu Gesicht.
»Dann eben nicht«, murmelte er und ging weiter.
Der Toyota wartete auf ihn. Er parkte nicht zu weit von dem Geschäft entfernt, in dem John eine Ratte entdeckt hatte. Suko ging sicherheitshalber noch hin, aber die Schaufenster und auch der Laden waren dunkel. Da gab es keine Ratte mehr. Oder sie hielt sich versteckt. Suko machte kehrt. Am Himmel zeigte sich der Mond. Er war fast voll, aber vor ihm schwebte eine dünne Wolke, die ihm ein verwaschenes Aussehen gab. Es würde wohl bald einen Wetterwechsel geben.
Suko nahm wieder hinter dem Lenkrad Platz und dachte daran, John anzurufen, als sein Handy klingelte.
Das war Gedankenübertragung. In den nächsten Minuten hörte Suko nur zu. Was er erfuhr, waren verdammt harte Neuigkeiten, und er wusste jetzt auch, dass mit Ratten nicht zu spaßen war.
Aber er befand sich hier im Ort an der falschen Stelle. Eigentlich hätte er die Ratten in den Bergen jagen müssen, was ihm nicht neu war. Doch das war John’s Sache. Sie verblieben so, dass Suko Bescheid bekommen würde.
Nachdem er das Handy wieder hatte verschwinden lassen, fragte er sich, ob er die zweite Geige spielte oder nicht. Zumindest nicht die allererste, aber das konnte beim nächsten Fall wieder ganz anders sein.
Im rechten Außenspiegel an der Fahrerseite fiel ihm eine Bewegung auf. Suko schaute noch mal hin, aber da war nichts mehr zu sehen. Nur die leere Straße und ein Teil des Gehsteigs.
Von der Kühlerhaube her hörte er das Geräusch. Es war nicht laut, aber er konnte es auch nicht überhören.
Sofort änderte er seine Blickrichtung und schaute hin.
Da saß eine Ratte!
Dick, fett, widerlich. Eklig. Eine Ausgeburt der Hölle. Diese Gedanken huschten Suko durch den Kopf, obwohl sie nicht stimmten, denn es war nur eine normale Ratte, deren Fell feucht glänzte. Sie hielt den Mund offen, eine dünne Zunge huschte hervor, sie putzte sogar ihre Vorderpfoten und schien sich für den Mann hinter der Scheibe nicht zu interessieren. Sie hatte nur einen Platz gesucht, an dem sie sich wohlfühlen konnte.
Sekundenlang geschah nichts. Zumindest nichts mit der Ratte. Suko suchte in den Spiegeln die Gegend hinter dem Wagen ab.
Trotzdem hatte er die kleine Gestalt nicht gesehen. Es war das Mädchen mit den blonden Haaren. Es musste ihm gefolgt sein, denn an einen Zufall wollte Suko nicht glauben. Die Kleine bewegte sich über den Gehsteig und würde das Auto des Inspektors sehr dicht passieren. Das tat sie, aber sie warf keinen Blick durch das Fenster. Sie ging so weit vor, dass sie neben dem rechten Vorderrad stehenbleiben konnte. Dort drehte sie sich nach links. Jetzt schaute sie über die Kühlerhaube hinweg, auf der die Ratte hockte.
Was dann passierte, hinterließ bei Suko Erklärungsnot und Kopfschütteln. Die Kleine streckte die Arme aus, die über der Kühlerhaube schwebten. Die Ratte tat nichts. Das heißt, sie hatte aufgehört, sich zu putzen. Sie drehte ihren Kopf und schaute das blonde Mädchen direkt an.
Die Kleine griff zu.
Sie umfasste die Ratte mit beiden Händen so vorsichtig, als bestünde das Tier aus Porzellan. Sie hob es an und zog es dann gegen ihre Brust, wobei auf den Lippen ein Lächeln lag.
Es gibt Situationen, wo selbst Leute wie Suko sprachlos sind. Und diese gehörte dazu. Das Mädchen war für ihn ein Rätsel. Auf der anderen Seite allerdings schien es sehr viel von Ratten zu halten und auch viel über sie zu wissen. Es liebte die Tiere und senkte sogar den Kopf, als wollte es das Fell küssen. Dass es dabei beobachtet wurde, machte ihm nichts aus. Vielleicht hatte es es auch gar nicht gesehen und war zu sehr mit sich und dem Tier beschäftigt.
Suko wartete noch ab. Erst als die Kleine sich etwas drehte und so tat, als wollte sie gehen, da ließ Suko die Scheibe nach unten fahren. Es entstand dabei nur ein leises Geräusch, aber es war laut genug, um gehört zu werden, denn die Kleine drehte sich um. Die Ratte war nicht scheu. Sie blieb in den Armen des Mädchens liegen, das noch immer neben dem rechten Vorderreifen stand und seinen Blick nicht von der Scheibe lösen konnte.
Es war nicht finster. Zwar gab es nur wenig Licht, aber Suko konnte trotzdem von der Kleinen gesehen werden, und auf seinem Gesicht zeigte sich ein Lächeln.
Sie lächelte nicht zurück. Dennoch zeigte ihr Gesicht keinen
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