Das Regenwaldkomplott
wie die ganze Welt diese Katastrophe verhindert hat. Denn es ist kein brasilianisches Problem, sondern ein Weltproblem. Die ganze Menschheit wird unter dem Tod des Regenwaldes leiden. Die Menschen wissen viel zuwenig, was mit dem Abholzen und Abbrennen des Waldes auf sie zukommt.«
»Was können Sie, Sie persönlich, zur Rettung des Regenwaldes tun?«
»Nur reden, reden und immerfort reden. Die Welt aufrütteln, so wie dieses Interview jetzt ein Aufruf werden soll: Werdet nicht blind durch vergänglichen Reichtum … ihr seid dabei, das als unvergänglich Betrachtete zu zerstören, ein Vorgang, an den die Schöpfung nie gedacht hat. Und ich sage es noch mal: Ich will das Gewissen der Welt wecken!«
»Und Sie glauben, daß Ihnen das auch gelingt?«
»Ich kann mir nicht denken, daß es über fünf Milliarden Selbstmörder gibt! Aber es gibt eine kleine Gruppe von Mördern. Gegen sie muß jedermann sich wehren.«
»Können Sie konkrete Namen nennen?«
»Ja.«
»Werden Sie das jetzt vor der Kamera?«
»Ja. Ich werde Namen nennen. Und ich werde Zahlen nennen. Zahlen, die ein Entsetzen auslösen werden. Ein Entsetzen, das Gegenwehr erzeugt. Das ist meine Aufgabe.«
»Wir sind gespannt, Herr Maputo. Und Sie können alles belegen?«
»Alles … weil es die Wahrheit ist.«
»Mit wem oder womit wollen Sie anfangen?«
Maputo hatte sich für dieses wichtige Interview gut vorbereitet. Er legte seine Notizen vor sich auf den Tisch, während die Kamera surrte und in Nahaufnahme seinen Kopf einfing. Dann schwenkte sie nach unten auf die Papiere. Deutlich sah man lange Zahlenkolonnen.
Die Buchhaltung des Sterbens. Der Mord am Regenwald. Eine blutige Statistik.
»Wo soll ich beginnen?« fragte Maputo und blickte auf seine Notizen. »Sollen wir Jahrzehnte zurückgehen? Haben wir so viel Zeit?«
»Was wir nicht brauchen, schneiden wir später heraus.« Der Reporter winkte Maputo ermunternd zu. »Fangen Sie damit an, als Brasilien in das Blickfeld der reichen Industrieländer geriet.«
»Gut.« Maputo blickte ernst in die Kamera. »Es begann mit der Entdeckung von großen Bauxitvorkommen, aus denen man Aluminium gewinnt. Der Bedarf an Aluminium wuchs von Jahr zu Jahr. Ob Fensterrahmen, Türen, Bierbüchsen oder Konservendosen, Flugzeugrümpfe oder Maschinen, Werkzeuge oder Motoren, Kochtöpfe oder Alufolien … Aluminium war das Geschäft! Aber die Herstellung von Aluminium ist abhängig von einem großen Energieverbrauch. Auf der nördlichen Halbkugel unserer Welt wurde diese Energie durch Erdöl gewonnen, und der Rohölpreis stieg damals ständig an. Da hatten die Großkonzerne und internationalen Wirtschaftsverbände die Idee, einen Großteil der Aluminiumerzeugnisse nach Brasilien zu verlegen, eben, weil man dort unerschöpfliche Bauxitvorkommen entdeckt hatte. Und Energie – so plante man – ist auch genug vorhanden. Brasiliens riesige Flüsse, wie zum Beispiel der Rio Xingu, der Rio Madeira und der Rio Tapajós konnten genug Strom liefern durch den Bau von gewaltigen Staudämmen. Die Finanzierung dieser Projekte war kein Hindernis: Internationale Konsortien beschafften Geld in jeder Höhe. 1970 war somit das erste Schicksalsjahr des Regenwaldes, der Indios und der gesamten brasilianischen Natur. Unsere Regierung griff mit beiden Händen zu. Ein Spruch, der uns alle ins Elend stürzte, hieß: ›Borge heute – zahle morgen!‹ Die Verschuldung Brasiliens begann.«
Maputo blätterte wieder in seinen Papieren. Er war ein einfacher Kautschukzapfer, und was er jetzt sagte, entnahm er Artikeln in der Weltpresse, die man für ihn gesammelt und zusammengestellt hatte. »Diese Idee, daß die großen Industrieländer nur dann ihren Wohlstand halten konnten, wenn sie diese Großprojekte finanzierten, führte zur Bildung großer internationaler Organisationen: An der Spitze die Weltbank, der Internationale Währungsfonds in Bretton Woods, die GATT-Zollvereinbarung und die Gründung vieler großer Hilfsprogramme. Die Arbeitslosigkeit konnte unter Kontrolle gebracht werden, die Sozialsysteme wurden leistungsfähiger, der Staatshaushalt stabilisierte sich einigermaßen … aber der Regenwald begann zu sterben, und Brasilien ging in seinen Schulden unter.«
Maputo atmete tief durch. Soviel an einem Stück hatte er noch nie gesprochen mit Ausnahme der Reden, die er auf den Gewerkschaftsversammlungen und Massenkundgebungen überall im Land hielt und die ihm den Haß der Reichen und die vielfache Drohung, ihn zu töten,
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