Das Regenwaldkomplott
Schmetterlinge, Käfer, Insekten und andere Kleintiere geben, die noch keinen Namen haben. Ich bin gespannt, was Sie alles entdecken werden.«
»Viel, Senhor Beja, wenn man uns den Wald läßt.«
»Aber Senhora Herrmann, wer will Ihnen denn den Wald wegnehmen?«
»Keine zehn Kilometer von hier graben 50.000 Garimpeiros nach Gold. Und jedes Jahr werden jetzt fast 200.000 Quadratkilometer Wald abgeholzt und verbrannt, eine Fläche fast so groß wie Deutschland.«
»Man muß die Prioritäten sehen, Senhora.« Beja blieb höflich und hob sogar die Schultern, als wolle er damit ausdrücken: Ich kann's nicht ändern. Ich bin nur ein kleiner Beamter. »Wenn man ein so reiches Goldlager findet, stellt sich die Frage: Gold oder Wald? Das ist eigentlich gar keine Frage, weil die Antwort klar ist. Außerdem ist es ja nur ein kleines Gebiet, völlig übersehbar«, sagte er. Von der ungeheuren Fläche des jährlich vernichteten Regenwaldes sprach er nicht, das überhörte er.
»Und nach dem Bau der Straße kommen die Kleinsiedler und roden den Wald, um Felder anzulegen.«
»Jeder Mensch will leben, Senhora. Wissen Sie, wie die Armen im Nordosten Brasiliens leben? In den Dürregebieten? Leben – ein Vegetieren ist das, ein langsames Verhungern, ein Verrecken mit offenen Augen. Die Natur ist ihr unbesiegbarer Feind. Über 28 Millionen Kleinbauern kämpfen vergeblich gegen die Dürre. Aber jeder Mensch hat ein Recht auf Leben. Und wenn wir Land haben, wo sie tatsächlich überleben können, genug Land, ungenutztes Land, Terra incógnita, warum sollen wir ihnen das nicht geben?! Unsere Regierung hat ganz richtig im Jahre 1970 das ›Nationale Integrationsprogramm‹ erlassen. Der nutzlose Dschungel soll gezähmt und in Besitz genommen werden, um aus Urwald Siedlungsraum zu schaffen: Weideland, und das bedeutet einen lukrativen Rindfleisch-Export. Das ist das große Ziel. Das gibt Arbeit und Brot, das lindert die Not. Senhora, Sie werden eine riesige Menge neuer Pflanzen und Tiere entdecken, aber ernähren diese Pflanzen, Käfer und Insekten 28 Millionen hungernde Nordestinos? Sie haben bestimmt noch nie gehungert, Senhora. Sie wissen nicht, wie weh Hunger tut. Sie wissen nicht, wie brüchig die Knochen werden, wie ledern die Haut. Haben Sie schon einmal in die Augen eines verhungernden Kindes gesehen?«
»Ja, Senhor Beja, im Sudan.«
»Ach, Sie waren im Sudan?« Beja musterte Luise mit neuem Interesse. »Dann brauche ich Ihnen keinen Vortrag mehr zu halten. Ganz menschlich gedacht: Sind noch unbekannte Käferrassen wichtiger als hungernde Kinder?«
»Ich glaube, das können wir so schnell im Stehen nicht aushandeln.« Thomas schnitt damit das heikle Thema ab. »Sie verzeihen, Senhor Beja, aber ich muß zu meinen Kranken ins Hospital. Ich habe da einen Fall von einem inneren Leistenbruch. Er müßte operiert werden, aber alle meine Instrumente, Infusionsflaschen, Medikamente und was es sonst noch braucht, um vernünftig als Arzt arbeiten zu können, liegen in Kisten irgendwo zwischen Brasilia und Boa Vista. Ich brauche sie dringend.«
»Wenn sie in Boa Vista sind, bekommen Sie sie sofort, Senhor Binder. Ich werde mich darum kümmern. Es ist immer dasselbe: Die Arbeitsmoral ist reformbedürftig. Wir rennen da oft wie gegen Gummiwände.«
»Es wäre wirklich eine große Hilfe, wenn ich meine Kisten schnell bekäme.«
»Verlassen Sie sich darauf, Doktor. Ich werde etwas Wind in die Lagerhäuser bringen.«
Thomas, Pater Ernesto und Schwester Lucia verließen das Missionsgebäude und blieben draußen auf dem Platz stehen.
»Das war vernünftig, Tom«, sagte Pater Ernesto. »Ich dachte erst: Wenn er doch bloß den Mund hält! Aber Sie haben genau das Richtige getan. Sie haben sich nicht beschwert, sondern um Bejas Hilfe gebeten. Luise wird er es nicht übelnehmen, er ist immer höflich zu Frauen.«
»Er ist ein grandioser Heuchler und Schauspieler. Was er da über die 28 Millionen Kleinbauern erzählt.« Thomas schüttelte den Kopf. »Sie werden auch im abgeholzten Regenwald hungern, weil die nährstoffarme Erde in drei bis vier Jahren ausgelaugt ist. Und dann wird weiter niedergebrannt. Man vernichtet die Lunge der Erde. Und kann man ohne Lunge leben? Warum sieht das keiner ein?«
Im Hospital erstattete der Krankenpfleger Luigi Bericht über die wenigen Patienten in ihren Hängematten. Es waren drei Grippefälle, und ein Yanomami, der sich bei der Feldarbeit mit einer Hacke am Fuß verletzt hatte, war neu verbunden worden.
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