Das Reich der Dunkelheit
zu dem internationalen Kongress der Traumspezialisten zu begleiten, will sie nicht mitkommen.
„Bevor du nicht dein Versprechen einlöst und das Grab meines Vaters findest, gehe ich nirgendwo mit dir hin!“, hat sie zu mir gesagt, als ich sie vom Dach der Stiftung aus angerufen habe. „Du kannst ja Mireia fragen, die kommt bestimmt mit. Aber lass mich damit zufrieden!“
„Glaub mir, Metáfora, ich tue alles, was ich kann, um das Grab deines Vaters zu finden“, habe ich ihr versichert. „Aber du musst doch zugeben, dass das nicht einfach ist. Trotzdem würde ich mich sehr freuen, wenn du mich zu dem Kongress begleiten würdest. Bitte!“
„Vergiss es, Arturo. Ich geh nirgendwo mit dir hin“, hat sie wiederholt. „Und schon gar nicht, um mir irgendwelche Theorien über deine Träume anzuhören. Wir haben uns schon tausendmal über deine Unsterblichkeit unterhalten, ich will nichts mehr davon hören. Ruf mich an, wenn du wieder sterblich bist wie alle anderen.“
„So sterblich wie Horacio?“
„Jawohl, wie Horacio. Der ist ein ganz normaler Junge, der blutet, wenn er sich schneidet. Einer mit einem Verfallsdatum, wie wir alle. Kapier doch endlich, Arturo, ich kann nicht mit jemandem zusammen sein, der nie sterben wird.“
„Das kannst du doch gar nicht wissen. Vielleicht komme ich ja nicht durch ein Schwert zu Tode, sondern durch die Zeit. Wer weiß? Vielleicht bin ich früher tot als du!“
„Du weißt nicht, wer du bist, du weißt gar nichts über dich, und du willst nicht, dass wir anderen herausfinden, was mit dir los ist.“
„Dann komm doch morgen mit! Vielleicht finden wir ja gemeinsam etwas heraus!“
„Nein!“, hat sie gesagt und aufgelegt.
Also sitze ich jetzt hier, alleine, vor zweihundert Ärzten, und soll gleich etwas über mich erzählen.
„Du brauchst keine Angst zu haben“, hat Cristóbal zu mir gesagt. Er ist nämlich mitgekommen, „zur Verstärkung“, wie er behauptet hat.
„Ich freue mich, Ihnen Arturo Adragón vorstellen zu dürfen, einen jungen Mann, der viel Erfahrung mit Träumen hat“, sagt Doktor Vistalegre ins Mikrofon. „Er wird von unglaublichen Dingen berichten, die unsere Forschungsarbeit über den Einfluss von Träumen auf die psychische Entwicklung des Menschen vorantreiben werden. Ein Applaus für Arturo Adragón!“
Donnernder Beifall. Cristóbals Vater gibt mir ein Zeichen, ich gehe das Treppchen hinauf und setze mich neben ihn aufs Podium. Er rückt mir das Mikrofon zurecht. Ich warte darauf, dass der Beifall abebbt, dann habe ich das Wort.
„Guten Abend, meine Damen und Herren“, beginne ich schüchtern.
Wie Doktor Vistalegre mir geraten hat, warte ich einen Moment, bevor ich mit meiner Rede beginne. So weckst du das Interesse deiner Zuhörer, hat er gesagt.
„Ich bin hier, um Ihnen von meinen Erfahrungen mit Träumen zu berichten … auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob Sie etwas damit anfangen können. Seit einiger Zeit träume ich sehr intensiv. Im Schlaf sehe ich mich im Mittelalter, immer an denselben Orten, umgeben von immer denselben Personen. Das ist das Seltsame daran: Normalerweise träumen wir jede Nacht von etwas anderem, von immer anderen Menschen, ohne jeden Zusammenhang. Bei mir ist das anders. Meine Träume sind wie die fortlaufenden Szenen eines Films. Wenn man sie aneinanderfügen würde, ergäben sie einen abendfüllenden Spielfilm von mehreren Stunden …“
Ich berichte weiter von meinen Erfahrungen. Im Saal herrscht gespannte Stille. Alle hören sich interessiert an, was ich zu erzählen habe. Ich sehe, dass einige sich sogar Notizen machen, während ich spreche.
„Manchmal, wenn ich wach bin, erinnere ich mich an die Orte und die Menschen aus meinen Träumen, aber nicht an alles. Ich wüsstegern, warum ich mich im wirklichen Leben plötzlich an mein Leben in den Träumen erinnere, und zwar immer dann, wenn ich Menschen begegne, die Gestalten aus meinen Träumen ähneln. Sie sind nicht genau wie sie, sie haben nur eine gewisse Ähnlichkeit mit ihnen, sie handeln und benehmen sich entsprechend. Zum Beispiel bin ich sicher, dass ich in meinen Träumen eine Freundin aus meiner Klasse gesehen habe.“
Ich gebe noch viele andere Beispiele und versuche, mich klar und deutlich auszudrücken, so wie Doktor Vistalegre mir geraten hat.
„Ich weiß nicht, was diese Träume bedeuten. Ich kann nur sagen, dass ich mich an sie gewöhnt habe. Wenn es sie plötzlich nicht mehr gäbe, würde das eine große Leere in mir
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