Das Reich der Dunkelheit
diesen und küsst Papa auf die Stirn. Kurz darauf färbt sich der Verband blutrot.
Ich fasse meinen Vater unter den Achseln und gehe mit ihm zum Ausgang.
„Warte! Ich muss das mitnehmen“, sagt Sombra.
Er geht zu dem Sarkophag und nimmt das Pergament an sich. Plötzlich stöhnt er auf.
„Was ist, Sombra?“, frage ich. „Was hast du?“
„Mein Bein! Es tut so weh! Ich glaube, es ist verletzt … Wahrscheinlich einer von den Steinen …“, stammelt er. Er rollt das Pergament zusammen und steckt es in die Tasche seiner Kutte. „Jetzt können wir gehen.“
Sombra stützt sich auf Norma. Man sieht ihm an, dass er große Schmerzen hat.
„Wahrscheinlich ist es gebrochen“, sagt er. „Aber es geht schon … Los, bloß raus hier! Das Ganze hier kann jeden Moment einstürzen …“
Wir schleppen uns die Treppe hinauf. Vor dem zweiten Keller machen wir eine Pause.
„Arturo, was ist das?“, fragt Norma und zeigt auf die schwarzen Buchstaben, die uns immer noch begleiten.
In diesem Augenblick werden wir durch ein Unheil verkündendes Knirschen aufgeschreckt. Es ist, als bräche die Stiftung in der Mitte auseinander. Staub rieselt herab, Steine lösen sich … Wir springen zur Seite, obwohl die meisten Steine von den Buchstaben aufgefangen werden.
„Kommt her!“, fordere ich Norma und Sombra auf.
Sie drücken sich fest an mich, während ich Papa in meinen Armen halte. Die Buchstaben bilden eine undurchdringliche Mauer über uns.
„Was ist denn jetzt los?“, fragt Norma, als der Boden unter uns zu beben beginnt.
Das Dach stürzt ein, und dann bricht die Hölle los. Ein Steinregen prasselt mit ohrenbetäubendem Lärm auf uns nieder. Wir werden von einer Staubwolke eingehüllt. Zum Glück bilden die Buchstaben eine dichte Schutzmauer um uns.
Halbtot vor Angst pressen wir uns aneinander. Uns wird klar, dass dies vielleicht die letzten Minuten unseres Lebens sind. Ich vertraue auf die Kräfte der Buchstaben, obwohl ich sie noch nie einer so großen Belastung ausgesetzt habe. Aber Norma und Sombra haben keine Ahnung davon, und ich weiß, dass sie wirklich Panik haben.
„Habt keine Angst!“, ermuntere ich sie. „Wir werden beschützt!“
„Von fliegenden Buchstaben?“, fragt Norma. „Glaubst du, sie könnten was gegen die Steine ausrichten?“
„Vertraue mir, Norma“, sage ich. „Du darfst jetzt nicht die Nerven verlieren.“
Nach ein paar Minuten lässt der Steinregen nach und hört bald ganz auf. Aber wir trauen dem Frieden nicht und bewegen uns keinen Zentimeter von der Stelle.
„Ich glaube, die Gefahr ist vorbei“, stelle ich schließlich fest.
Wir sind über und über mit Staub bedeckt. Vor uns türmt sich eine unüberwindliche Mauer aus Schutt auf. Eine wahre Steinhalde.
„So ein Mist!“, rufe ich. „Wir können nicht raus!“
Ich glaube, nicht einmal die Buchstaben sind dazu in der Lage, diesen Schutthaufen wegzuräumen.
„Wir sind verloren!“, ruft Norma. „Wir kommen hier nie wieder raus!“
Mein Vater bewegt sich ein wenig, aber er ist immer noch ohne Bewusstsein. Der behelfsmäßige Verband, den Norma ihm angelegt hat, konnte die Blutung nicht stillen. So langsam fange ich an, um Papas Leben zu fürchten.
Ich bin ziemlich durcheinander. Die beiden sehen mich an, als erwarteten sie von mir eine Lösung. Aber mir fällt absolut nichts ein.
„Können uns die Tierchen da nicht helfen?“, fragt Norma.
„Das sind keine Tierchen, das sind Buchstaben“, stelle ich klar. „Und sie haben uns schon sehr geholfen.“
„Ja, aber wer holt uns hier raus?“, entgegnet Sombra. „Sollen wir hier etwa krepieren?“
„Wir müssen uns unbedingt etwas einfallen lassen“, sage ich. „Papa geht es von Minute zu Minute schlechter.“
Sombra nimmt sein Handgelenk und fühlt ihm den Puls.
„Sein Herz schlägt sehr schwach“, stellt er besorgt fest. „Deinem Vater geht es verdammt dreckig, Arturo.“
„Was können wir tun?“, fragt Norma. „Niemand wird uns hier finden. Die Feuerwehrleute brauchen Tage, bis sie zu uns vorstoßen. Und ein Kran kommt schon gar nicht hier runter. Wir werden ersticken!“
Sombra geht auf eine schmale, eisenbeschlagene Holztür zu, die mir vorher noch nie aufgefallen ist. Auch sie ist staubbedeckt.
„Folgt mir“, fordert er uns auf.
„Aber wohin denn?“ frage ich. „Da geht es nicht raus!“
„Los, kommt schon!“, sagt er fast im Befehlston und zieht Norma hinter sich her. „Mir nach!“
Ich folge den beiden, ohne zu murren. Papa
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