Das Reich der Dunkelheit
Meisters in Zweifel ziehen.
Tief unter ihm erlebten die Emedianer und die Demoniquianer Momente der überschäumenden Freude beziehungsweise der wahnsinnigen Bestürzung angesichts dessen, was über ihren Köpfen geschah.
Später sollten Dichter und fahrende Sänger einen schwarzen Drachen besingen, der sich mit ausgebreiteten Flügeln den rötlichen Wolken entgegenstellte, die endlose Feuerströme auf das friedlichste Tal der Welt und ihre unschuldigen Bewohner regnen ließen.
Doch Arturo Adragón war sich nicht bewusst, dass alle ihn in der Gestalt eines mächtigen Drachen sahen. Deswegen wurde sein Name in keinem der Lieder je erwähnt.
XVI
E IN G ESCHENK AUS DEM M ITTELALTER
D IE SCHWERE E ICHENTÜR des Klosters ist mit Metallverschlägen und Eisennägeln verstärkt und so dick wie ein tausendseitiges Buch. Sie ist wohl die älteste Tür, die ich in meinem Leben jemals gesehen habe. Außer den Kellertüren in der Stiftung natürlich. Über ihr, umrandet von kleinen menschlichen Figuren, die ich nicht genau erkennen kann, ist eine Inschrift in den Stein gehauen:
K LOSTER M ONTE F ER
E RBAUT IM ZEHNTEN J AHRHUNDERT,
ALS DER H IMMEL BRANNTE
Eigentlich sieht die Tür aus wie ein Schlosstor. Und jetzt fällt mir auch auf, dass das Gebäude eher einer kleinen Festung gleicht als einer Abtei.
Merkwürdig, aber man hat das Gefühl, sich im Mittelalter zu befinden und nicht im einundzwanzigsten Jahrhundert. Die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein. Wie tiefgefroren.
Der eiskalte Türklopfer hallt dumpf wider. Sein Echo klingt mir noch lange in den Ohren nach. Metáfora und Cristóbal schauen mich ungeduldig an.
„Meinst du, die hören uns?“, fragt Metáfora, halbtot vor Kälte. „Ich habe eher das Gefühl, dass hier niemand wohnt.“
„Sie werden uns schon die Tür öffnen“, sage ich. „Ich habe mit dem Abt gesprochen, und wir haben uns hier verabredet … Schaut mal, da kommt Rauch aus dem Kamin!“
„Das heißt noch gar nichts“, erwidert Metáfora.
„Hier leben mittelalterliche Mönche, ich sag’s euch“, behauptet Cristóbal.
„Komm, erzähl keinen Quatsch“, widerspricht Metáfora. „Mittelalterliche Mönche leben nicht mehr. Du wolltest sagen, sie leben wie im Mittelalter.“
„Glaub mir, Metáfora, das sind mittelalterliche Mönche! Die wissen nicht mal, in welchem Jahrhundert sie leben. Haben jedes Zeitgefühl verloren, so lange sind die hier schon eingesperrt!“
Der Taxifahrer, der uns hergebracht hat, sieht uns verwundert an. Ich habe ihn gebeten zu warten, um uns später in die Stadt zurückzubringen, aber ich habe das Gefühl, dass er uns nicht so recht traut. Dabei habe ich ihm dreißig Euro als Anzahlung gegeben. Das Geld haben wir zusammengelegt.
Endlich öffnen sich knarrend die beiden Türflügel. Ganz langsam, fast widerwillig. So, als würden sie aus einem langen Schlaf erwachen.
Eine menschliche Gestalt steht im Türrahmen. Es ist ein älterer Mann, der mich misstrauisch und zugleich wohlwollend ansieht. Er erinnert mich an Sombra.
„Arturo Adragón?“, fragt er.
„Ja, ich habe einen Termin mit Bruder Tránsito …“
„Kommt doch rein, da draußen ist es furchtbar kalt. Hier drinnen ist es schön warm.“
„Vielen Dank, Bruder“, sagt Cristóbal in seiner forschen Art. „Wenn wir noch länger hier gestanden hätten, wären wir jetzt tiefgefroren.“
„Du meinst wohl, ihr wäret erfroren?“, entgegnet der Mönch.
„Nein, tiefgefroren. Weder tot noch lebendig. Wie tiefgekühlter Dorsch.“
„Tiefgekühlter Dorsch ist tot, mein lieber Freund, nicht lebendig“, erwidert ein anderer Mönch, den wir erst jetzt sehen.
„Mit der Tiefkühltechnik kann man alles einfrieren“, erklärt Cristóbal, der sich damit auszukennen scheint. „Egal, ob tot oder lebendig.“
„Stimmt, aber dann erfriert auch das Leben“, widerspricht der Mönch. „Wenn du tiefgekühlt wirst, stirbst du.“
„Seien Sie sich da mal nicht so sicher, Bruder …“
Mit vereinten Kräften schieben wir die beiden Türflügel auf. Die armen Mönche haben Sandalen an den Füßen und tragen nur einen dünnen Mantel über ihrer Kutte, um sich gegen die Kälte zu schützen.
„Wir befinden uns hier auf über zweitausend Meter Höhe“, sagt der erste Mönch. „Und oft schneit es. Das Leben hier oben ist nicht einfach.“
„Und warum ziehen Sie nicht runter ins Tal?“, fragt Metáfora. „Da ist das Klima erträglicher. Natürlich schneit es auch da hin und
Weitere Kostenlose Bücher