Das Reliquiar
kompliziert.«
»Beginn mit deiner Flucht aus Edinburgh und der Heimkehr nach Rom.«
»Nun, ›Flucht‹...« Elena lächelte. »Aber du hast Recht: In Edinburgh hat alles begonnen.« Sie versuchte, so objektiv wie möglich zu sein, als sie alles erzählte: vom unerwarteten Anruf des Sekretärs ihres Großvaters bis hin zum Kreuz von Byzanz und der Mission, mit der ihre Familie seit Jahrhunderten betraut war. Sie erwähnte auch ihre »Visionen« in der Kapelle, das geheime Archiv, den rätselhaften Eindringling und schließlich Vannellis Ermordung.
»Meine Güte!«, sagte Nicholas verblüfft. »Wer hätte das gedacht! Du musst von all dem ziemlich geschafft sein.«
»Ja, und ich bin auch erschrocken«, gestand Elena. »Schon vor Vannellis Tod war die Situation kompliziert, aber jetzt macht sie mir Angst.«
»Kann ich verstehen. Aber ich meine, wegen der Ermordung des Sekretärs brauchst du dir keine Gedanken zu machen – darum kümmert sich die Polizei.Wir können uns auf das Kreuz von Byzanz konzentrieren.Vielleicht hast du Recht: Der Schlüssel zu dieser ganzen Sache könnte sich im geheimen Archiv deines Großvaters befinden.«
»Auch deshalb habe ich dich hierhergebeten. Ich kann all die Dokumente unmöglich allein durchsehen.«
»Ich helfe dir, ganz klar. Aber vorher...«
Elena ahnte, was Nicholas sie fragen wollte. »Du möchtest über meine ›Visionen‹ sprechen, nicht wahr?«
»Offen gestanden... Professor Walton hat alles vorausgesehen. Vor einigen Tagen rief er mich nach einer Hypnosesitzung an und sagte: ›Sie ruft dich an, du wirst sehen, und dann bittet sie dich, zu ihr zu kommen. Angesichts ihrer großen Sensibilität würde es mich nicht wundern, wenn sie einer spontanen Regression unterliegen würde, und das erschreckt sie bestimmt. Deshalb möchte sie jemanden an ihrer Seite haben, dem sie vertrauen kann und der Erfahrungen auf diesem Gebiet hat.‹ Elena... Vielleicht ist es besser, den Tatsachen ins Auge zu sehen: Es handelt sich nicht um ›Visionen‹, sondern um spontane Regressionen.«
Elena schwieg und sah ihn nur an. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Entsetzt dich die Vorstellung nicht,
dass ich die Reinkarnation jener abscheulichen Frau sein könnte?«
»Nein, nicht einmal dann, wenn es tatsächlich so wäre. Beatrice lebte in einer grausamen Zeit, die sie selbst grausam machte. Jene Beatrice hat nichts mit der heute lebenden Elena zu tun.«
»Im Hinblick auf das äußere Erscheinungsbild ähneln wir uns sehr. Hier im Schloss gibt es ein Porträt von ihr. Als ich es sah, hatte ich das Gefühl, in einen Spiegel zu blicken. Daneben hängt das Bild ihres Mannes Urbano. Er sieht genauso aus wie in meiner Visi... wie während der Regression.« Elena legte eine kurze Pause ein, den Blick auf die leere Tasse in ihren Händen gerichtet. »Ich fürchte mich vor einer weiteren Regression, aber ich schätze, mir bleibt keine andere Wahl, wenn ich Antworten haben will.«
»Ja. Und ich weiß auch, dass das der wahre Grund ist, warum du mich hergebeten hast.«
»Professor Walton hat Recht: Ich hätte mich nie einem Fremden anvertraut.«
»Wir versuchen es mit einer weiteren Sitzung, aber nur wenn du dich bereit dazu fühlst.«
»Einverstanden.« Elena nickte. »Was hältst du davon, wenn wir uns in der Zwischenzeit die Dokumente im geheimen Archiv ansehen?«
Venedig, 2. März 1215
»Ihr wünscht, Herr?«, fragte der Bedienstete.
»Ich möchte Signor Alvise Angelieri sprechen.«
»Bedauere, aber dies ist der Palazzo Grimaldi.«
Manfredi richtete einen verwirrten Blick auf den Bediensteten. »Ich fürchte, ich... verstehe nicht ganz.«
Der Mann vor ihm lächelte verständnisvoll. »Der Palazzo ist verkauft worden, zusammen mit dem gesamten Besitz.«
Die Stimme einer Frau kam der nächsten Frage Manfredis zuvor. »Mit wem sprichst du,Venanzio?«
»Das ist meine Herrin, Donna Isabella«, sagte der Bedienstete leise, drehte sich halb um und rief: »Mit einem Fremden, der Signor Angelieri sucht, Signora.«
»Ich bitte dich, Venanzio. Man lässt einen Edelmann nicht vor der Tür stehen.«
»Ich bitte um Verzeihung, Signora«, sagte der Bedienstete und trat beiseite. »Kommt herein, Herr, und bitte nehmt meine Entschuldigung an.«
Manfredi trat ein und näherte sich einer großen, eleganten Frau, während Venanzio hinter ihm die Tür schloss. »Ich bin Manfredi Brandanti, Graf von Sandriano. Es tut mir sehr leid, Euch zu stören, Signora, aber ich wusste nicht, dass sich
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