Das Rennen zum Mars
bald wird er schon zwei Jahre alt!«
»Wir wissen, daß es schwer für dich ist«, versuchte Julia ihn zu trösten.
Raoul schaute ihr in die Augen. »Und was hätte ich Chen anzubieten? Nichts, außer ihm dabei behilflich zu sein, Wasser aus den Pingos zu gewinnen. Falls sie überhaupt dazu Hilfe brauchen.«
»Das steht doch gar nicht in seinem Ermessen«, sagte Viktor geduldig.
Julia hatte einen Kloß im Hals. Sie war bisher nicht in der Lage gewesen, Raoul auf die Trennung von Katherine anzusprechen – und das, obwohl sie auf der Mission als inoffizielle psychologische Betreuerin fungierte. Doch anscheinend war er auch nicht imstande gewesen, sich in dieser Hinsicht zu artikulieren. »Wir werden gemeinsam eine Entscheidung treffen.«
»Nein«, sagte Viktor. »Ich werde das für uns tun.«
»Kann nicht gerade behaupten, daß mir das gefällt«, sagte Raoul und nahm einen Schluck aus der Tasse, als ob er seiner Aussage Nachdruck verleihen wollte.
»Ich entscheide zum Besten der Mission«, sagte Viktor.
Raoul musterte Viktor, und aus seinem Gesichtsausdruck schloß Julia, daß er davon absah, eine Front gegen Viktor zu eröffnen – zumindest für den Augenblick. »Ich habe den Eindruck«, sagte Raoul bedächtig, »daß meine Chancen am besten stehen, wenn wir Strohhalme ziehen.«
»Vernünftiges Abwägen ist immer besser als ein riskantes Spiel«, sagte Viktor.
»Vor allem, wenn Leben auf dem Spiel steht«, pflichtete Julia ihm bei. Ihr war warm, als ob sie selbst in Rage geriete. Oder vielleicht, sagte sie sich reumütig, fühlte sie sich auch nur schuldig. Sie hatte schließlich den Platz abgelehnt, auf den Raoul so scharf war. Viktor setzte sich gerade hin; ein untrügliches Zeichen, daß er die Diskussion voranbringen wollte. »Wir sollten uns mit dem Methan befassen.«
Marc legte den Kopf schief. »Du meinst Axys Idee?«
»Nein, das Methan, das wir brauchen, um das nächste Startfenster in zwei Jahren zu durchstoßen.«
* * *
»Das ist aber eine Menge«, sagte Raoul und schüttelte den Kopf.
Seine gutturale Stimme sagte Julia, daß es ihn wurmte, daß sein Vorschlag mit dem Strohhalm-Ziehen so schmählich ignoriert worden war.
Es war offensichtlich, daß er litt. Es war eine unmögliche Situation für jeden von ihnen, nur daß Raoul es viel schwerer nahm als die anderen. Der Machismo fordert wieder seinen Tribut.
»Die Delta Vau ist fast doppelt so hoch wie die maximale Leistung unseres ERV.« Viktor gab einen Befehl in seinen Rechner ein, worauf das Ergebnis auf dem Flachbildschirm ausgegeben wurde. Sie alle studierten die Daten für eine Weile: die erforderlichen Rendezvous-Geschwindigkeiten, Brennstoffverbräuche, Dauer der jeweiligen Trajektorien – für ein Bündel von Rückflug-Trajektorien im Start-Fenster. »Also wird der Brennstoffverbrauch fast viermal so hoch sein wie ursprünglich veranschlagt.«
»Sie werden uns ein ERV mit viel größeren Tanks schicken müssen«, sagte Raoul mit monotoner, emotionsloser Stimme. »Und reichlich Wasserstoff.«
»Es sei denn, wir gehen nach einem anderen Schema vor«, sagte Viktor. »Wir zerlegen Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff und lagern beides getrennt. Dann müssen wir das ERV nur noch betanken, nachdem es gelandet ist.«
»Und wie soll das gehen?« fragte Marc, um gleich darauf mit den Fingern zu schnippen. »Sicher! Wir bauen Pingo -Eis ab und schmelzen es zu Wasser.«
»Bisher«, sagte Viktor, »war das unmöglich. Wir hatten weder Schläuche noch Zirkulierkammern oder Behälter. Doch wo Airbus nun hier ist, sieht das anders aus. Sie müssen solche Gerätschaften haben.«
»Claudine sagte, sie sei für ein paar Tage nur mit dem Aufbau beschäftigt gewesen«, sagte Marc. »Wegen der hohen Wärmeleistung des Reaktors haben sie ihn nur einmal hoch- und wieder heruntergefahren.«
»Sie haben wohl einen großen Reaktor«, sagte Raoul; »uns stehen aber auch hundertvierzig Kilowatt zur Verfügung. Die drei nuklearen Heizgeräte dienen hauptsächlich der Stromerzeugung, aber ich könnte sie modifizieren und eine Kammer aus Ersatzteilen bauen, falls notwendig …«
»Dann hätten wir also genug Brennstoff, wenn das ERV landet?«, fragte Julia. »Und wären in der Lage, das Schiff sofort aufzutanken und müßten nicht warten, bis das ERV Methan aus dem CO2 der Mars-Atmosphäre gewonnen hat?«
»Es würde aber die Wahl der Trajektorien beeinflussen«, sagte Viktor.
»Melden wir das gleich der Erde!«, sagte Marc freudig.
»Das bedürfte
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