Das Rennen zum Mars
noch einiger Überlegungen«, sagte Raoul bedächtig.
»Aber ich glaube nicht, daß es viel bringen würde.«
»Wieso nicht?«, fragte Marc überrascht.
»Weil es nach der Landung des ERV auf absehbare Zeit kein günstiges Fenster geben wird. In ein paar Monaten wird sich ein Fenster für den Start von der Erde öffnen. Doch wenn das ERV erst einmal hier ist, gibt es keinen einfachen und kostengünstigen Weg zurück.«
Viktor nickte. »Das deckt sich mit meinen Berechnungen. Aber die Erde ist vielleicht in der Lage …«
»Das ist doch ein Hirngespinst«, sagte Raoul in einer Aufwallung von Zorn. »Du machst uns hier bloß falsche Hoffnungen.«
Viktors Gesicht verhärtete sich. »Ich spiele nur alle Möglichkeiten durch!«
»Du willst über Methan sprechen«, sagte Raoul hitzig. »Ich würde sagen, wir beschützen das, was wir haben. Das ERV dort drüben hat genug Methan in den Tanks, um die Airbus-Rakete zurück zur Erde zu bringen. Sie wären schön blöd, wenn sie es nicht versuchen würden.«
Julia wollte schier verzweifeln. Nicht schon wieder.
Marc blinzelte. »Versuchen … es zu stehlen?«
»Axy hatte recht. Wenn sie es nicht auf legalem Weg bekommen, wieso es sich nicht einfach nehmen?«, sagte Raoul. »Sollen die Anwälte sich doch streiten, wenn sie schon auf dem Rückflug zur Erde sind.«
»Ja, das ist typisch NASA, nicht wahr?«, sagte Marc nachdenklich.
»Axy hat zwar einen Handel abgeschlossen, aber einen mit Haken und Ösen …«
»Wir werden das aber nicht zulassen«, sagte Viktor mit Nachdruck.
»Angenommen, sie kommen mit ihrer Atomrakete angeflogen und nehmen es sich einfach?«, fragte Raoul patzig.
»Sie werden es gar nicht erst versuchen«, sagte Julia mit bemüht fester Stimme, wobei sie aber das Gefühl hatte, ihr Gesicht würde glühen.
»Wer weiß …?«, sagte Raoul. »Ich will damit sagen, es wäre durchaus möglich, daß sie hier auftauchen und uns zu einem Handel zwingen wollen.«
»Im Gegenzug wofür?«, fragte Julia.
»Zum Beispiel für einen zweiten Platz?«, sagte Raoul schelmisch.
»Was für ein Unsinn! Ein Verschwörungstheorie-Alptraum«, sagte Julia.
»Ich habe darüber nachgedacht, seit der Boss das Problem angeschnitten hat«, sagte Viktor ruhig. »Wir müssen das Methan nicht sichern.«
»Axy hat aber noch mehr gesagt«, brauste Raoul auf. »Daß sie vielleicht Ersatzteile oder etwas in der Art brauchen. Daß sie sich vielleicht nachts anschleichen und sich das Zeug beschaffen.«
»In meinen Augen geht von ihnen keine Bedrohung aus«, sagte Viktor mit unerschütterlicher Ruhe.
»Für dich ist wohl alles in Butter, was?« sagte Raoul mit erhobener Stimme und fuchtelte mit der halb zur Faust geballten rechten Hand. »Du sonnst dich in deinem Kommando wie … wie ein gottverdammter Potentat …«
Er unterstrich das Wort mit einer ausladenden Geste – und fegte dabei versehentlich die Kaffeetasse vom Tisch. Sie prallte auf den Boden und zersplitterte.
Alle hielten die Luft an. Raoul drehte sich wie in Trance um. Er schaute auf die Scherben, die klirrend von der Wand aufgehalten wurden. Sein entsetzter Blick und der in schierer Verzweiflung halb geöffnete Mund gefroren in dem Augenblick in Julias Bewußtsein, als über ihr selbst eine Woge der Desintegration zusammenschlug.
Kapitel 30
29. Januar 2018
Diesmal handelten ihre Träume nicht vom Schwimmen, sondern es waren zusammenhanglose Fragmente. Sie fand einfach keinen Schlaf. Schließlich gab sie es auf und setzte sich im Bett auf. Sie spürte ein Kratzen im Hals und hatte Schmerzen in den Schultern. Dann merkte sie, daß sie eine Gänsehaut an den Beinen hatte. Langsam dämmerte die Erkenntnis. Ich bin krank. Ich muß Fieber haben. Scheint eine Grippe zu sein.
Aber wie? Eine Infektion? Der Mars war doch steril. Wir sind schon seit zwei Jahren zusammen isoliert. Wir können gar nicht mehr krank werden.
Dieses Phänomen war zum erstenmal in U-Booten beobachtet worden. Alle ansteckenden Viren machten einmal die Runde. Dann war die Besatzung immun, und es wurde niemand mehr krank. Es muß Airbus sein. Na prima. Ich habe mir etwas von diesem Frettchen Chen eingefangen.
Ein Gedanke drang in ihr Bewußtsein. Das Fumarolen-Leben. Sie hatte sich ihm ohne Helm genähert. Das ist absurd. Es handelt sich um richtiges Leben, nicht um die Ausgeburt eines Zeitungsschmierers. Sie versuchte, den Gedanken zu verdrängen, was ihr aber mißlang.
Viktor regte sich und griff ihm Schlaf nach ihr. Sachte schob sie seine
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