Das Rennen zum Mars
aufblasbares Gewächshaus neben dem Habitat aufgestellt. Sie überzogen es mit Fallschirmseide, die sie nach der Landung geborgen hatten, um den Kunststoff vor der UV-Strahlung zu schützen.
In einem Geistesblitz hatte Raoul das Entlüftungsrohr des Habitats an die Belüftung des Gewächshauses angeschlossen. Warme Luft, angereichert mit CO2, das die Photosynthese beförderte und gerade noch ausreichend Sauerstoff für die Pflanzenatmung enthielt, strömte ins Gewächshaus und verdrängte das trockene CO2 des Mars. Die Wärme verhinderte, daß die Pflanzen über Nacht erfroren.
Nach ungefähr zwei Monaten gediehen Julias Pflanzen prächtig, und die Tests ergaben, daß der Sauerstoffgehalt im Gewächshaus mehr aus ausreichend war für die menschliche Atmung.
Das Luftsystem des Habitats erzeugte saubere, feuchte Luft mit einem Drittel des Drucks auf Meereshöhe. Das entsprach einer Höhe von etwa 7000 Metern, doch der Sauerstoffgehalt war normal. Deshalb bekamen sie keinen Höhenrausch und wurden auch in ihrer Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt, doch hatte die Luft einen schalen Geschmack.
Als Raoul den Gegenstromkanal für die Luft öffnete, drängten sie sich um das Lüftungsgitter im Habitat und warteten. Schon der erste Schwall der Treibhausluft hob die Moral der Besatzung ungemein.
Sie atmeten die erste ›Bio‹-Luft seit acht Monaten. Die Treibhausluft wurde von Pflanzen erzeugt, und in ihr lag der frische Duft der Erde.
Julia, die zuhause nie gärtnerische Ambitionen gehabt hatte, freute sich immer auf die Arbeit im Gewächshaus. Dort brauchte sie weder Helm noch Handschuhe zu tragen. Sie war in der Lage, sich der schweren Schutzkleidung bis auf das Unterzeug zu entledigen.
Das größte Vergnügen bereitete es ihr, durch die Pflanzenreihen und durch die durchsichtigen Wände auf die staubige rote Landschaft zu blicken. In der Sicherheit des Gewächshauses war der Mars für sie ein lebensfreundlicher Planet, auf dem eines Tages Menschen siedeln würden.
Sie hatte eine kurze Schilderung dieser Impressionen an die Mars Society geschickt und war daraufhin von Möchtegern-Kolonisten mit E-Mails zugeschüttet worden. Die Idee, Nahrungsmittel auf dem Mars anzubauen, hatte nicht nur einen großen Symbolgehalt, sondern war auch in die Praxis umzusetzen.
Ungefähr drei Dutzend Pflanzenarten schienen als Nahrung für Kolonisten und für den Anbau im Hydroponiksystem geeignet, einschließlich Kulturpflanzen wie Weizen, Reis und Kartoffeln, diverse Bohnen- und Gemüsesorten wie Broccoli und Tomaten. Schon während des Flugs zum Mars hatten sie ein paar dieser Pflanzen im Habitat angebaut – in einem neuartigen Tanksystem mit der Bezeichnung Garten-Maschine.
Nach der Landung stellte Julia erst große hydroponische Tröge auf und führte anschließend Versuche mit Marsboden durch.
Als sie zum erstenmal von dem Projekt gehört hatte, war sie skeptisch gewesen. Doch hatte der umfangreiche Ordner mit Forschungsberichten genug Biologie enthalten, um ihr Interesse zu wecken. So wußte zum Beispiel niemand, welche Auswirkungen die Kombination aus niedriger Gravitation und geringer Sonneneinstrahlung auf die Pflanzen haben würde. Die Agronomen hatten sich nach besten Kräften bemüht, die auf dem Mars herrschenden Lichtverhältnisse zu simulieren – die Lichtstärke betrug dreiundvierzig Prozent des irdischen Werts –, doch der Gravitations-Effekt war die große Unbekannte. Wie bei der zentrifugalen Gravitation war eine Simulation unmöglich.
Also hatte Julia die Aufgabe, die Forschungen vor Ort durchzuführen. Beim Säen der ersten Samen hatte sie eine Nähe zu den steinzeitlichen Jägern und Sammlern verspürt und nachvollzogen, wie sie die ersten zaghaften Schritte in Richtung Landwirtschaft machten, indem sie Samen in den für sie geheimnisvollen Boden legten. Ihre Experimente hatten schließlich die Besiedlung einer ganzen Welt zur Folge gehabt. Vielleicht würde sie hier den gleichen Effekt erzielen.
Das war zwar nicht so spannend wie das Aufspüren von Mars-Leben, aber es verschaffte ihr dennoch Befriedigung. Zumal das Ergebnis eßbar war.
Die grünen Blätter und Ranken, von denen sie umgeben war, wiegten sich sachte in der Thermik, die von der Luft aus dem Habitat verursacht wurde. Sie genoß die geradezu kontemplative Ruhe.
Wie sie und Viktor schon festgestellt hatten, war es am Boden deutlich kühler, obwohl das Gewächshaus auf einer Art Isomatte stand und Raoul sogar mit Induktionsspulen eine
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