Das Riff der roten Haie
könnte ich, aber das will ich nicht sagen.«
Pater Patrick Lanson legte Descartes die Hand auf die Schulter: »Kommen Sie. Gehen wir zum Jeep. Fahren wir nach Pangai.«
»Pater, Sie kennen doch die Situation hier. Läßt sich für Hendrik gar nichts unternehmen?«
»Sie mögen Hendrik wohl?«
»Das wurde ich heute schon mal gefragt. Ja. Ich humple zwar, aber er hat mir mein Bein gerettet. Und er ist ein feiner Junge. Nur ein bißchen zu sensibel.«
»Was nicht unbedingt ein Fehler ist. Manchmal allerdings schon … Aber um Ihre Frage von vorhin zu beantworten …« Sie hatten den Jeep erreicht, Lanson blieb stehen: »Unternehmen läßt sich in dieser Lage kaum etwas. Das ist es ja. Sehen Sie: Als König haben wir auf Tonga eine nette Dreizentner-Majestät. Er hat zwar eine Leibwache, unser König, und einen Mercedes 600 und ein paar Motorräder, die er seinem Mercedes vorausschicken kann, aber leider nicht viel mehr. Geld zumindest hat dieser Staat nicht. Und daher auch nicht für den Gesundheitsdienst … Und käme unser netter, dicker König nicht jedes Jahr im Oktober hierher, nach Pangai, um Urlaub zu machen, die Landwirtschafts-Messe zu eröffnen und ein paar unschuldige Fische aus dem Pazifik zu reißen, gäbe es hier vermutlich nicht einmal ein Hospital. Die paar Ärzte seines Reiches werden natürlich in Nukualofa gebraucht. So sieht's aus, mein Lieber. Und wenn Nielsen Manschetten hat, wenn er sich selbst nicht traut, zum Messer zu greifen, dann …«
»Bleibt nur einer.«
»Richtig. Dann bleibt nur Hendrik.«
Patrick Lanson hatte sich hinter das Steuer gesetzt und startete den Motor. Gilbert Descartes nahm den Sitz neben ihm ein.
»Bringen Sie mich bitte zu ihm.«
»Ich weiß doch gar nicht, wo er wohnt! Das letzte, was ich hörte, war, daß er sich irgendwo bei Toto verkrochen hat – das ist so eine Art Eingeborenen-Pension.«
Descartes zog einen Zettel aus der Brusttasche seines Hemdes. »Hier! Dr. Nielsen hat mir das gegeben.« Der Jeep fuhr an, doch nun drückte der Pater die Kupplung und brachte ihn wieder zum Stehen. Er nahm den Zettel vor die Augen. »Oh«, sagte er, »nicht die allerfeinste Adresse. Aber ich begleite Sie, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
Manchmal hatte Gilbert Descartes eine Art, die Dinge auszusprechen, daß sie zerstreut und völlig bedeutungslos wirkten. Er sprach irgendwohin, an seinem Gegenüber vorbei zu den Palmwipfeln hoch. Aber etwas war dann an seinem schweren Körper, das wuchtig, beinahe drohend erschien.
»Ich gehe wohl besser allein zu ihm.«
»Selbstverständlich«, versicherte der Pater Patrick Lanson hastig. »Ich habe nicht das Geringste dagegen. Wieso auch?«
Der Motor des Jeeps heulte, das Chassis klapperte, und die Räder schlugen immer wieder krachend in Schlaglöcher.
Für einen Pfarrer fährt er wie ein Henker, sagte sich Descartes, aber schließlich, er muß es ja wissen: Ob Pfarrer oder Missionar, stets ist er mit Gott im Bund, an ein Gespräch jedenfalls war nicht zu denken.
Descartes hielt sich am Beifahrergriff fest und blickte nach vorne. Die Windschutzscheibe war umgeklappt, und er konnte die heiße, staubige Luft riechen. Links kamen wieder der endlose, menschenverlassene Strand und der Pazifik zum Vorschein, rechts zogen sich nur Büsche und verbranntes Gras dahin, aus denen einzelne Reklameschilder wie die Boten einer fernen, unwirklichen, außerirdischen Welt hochragten.
Er sah einen gewaltigen, aufgeblasenen, weißschwarz gestreiften Michelin-Mann, dann kam eine Sony- und eine Nissan-Reklame mit Mädchen und schließlich das Schild: ›WELCOME TO PANGAI‹. Auf einer Anhöhe im Westen der langen Häuserzeile, die den Ort darstellte, stand ein Viereck aus schönen alten Bäumen.
Patrick Lanson hob den Arm und deutete hinüber: »Da können Sie im Oktober den dicken Tupou erleben – das heißt, falls man Sie ranläßt. Ich hatte mal die Ehre, Seiner Majestät beim Tischtennisspiel zusehen zu dürfen. Drei Zentner Fett und Hände so groß wie die Schläger. Aber er hat gewonnen.«
Ein zweirädriger Pferdekarren, beladen mit Zuckerrohr, kam aus einer Kurve. Er kam genau in der Mitte der Fahrbahn an, und der alte Mann, der ihn steuerte, hockte ganz oben auf seiner Stengelladung und hatte das Kinn so dicht an der Brust, daß nur die Oberseite seines kreisrunden, zerlöcherten Strohhuts zu erkennen war. – Er pennte.
»Paß auf! Halt dich fest.«
Mit kreischenden Reifen und einem aberwitzig riskanten Manöver schaffte es Patrick
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