Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
den ihr Vater einst von seinen Großeltern geerbt hatte und dessen Anblick so gar nicht in einen Heizungskeller passen wollte.
Dicht gefolgt von ihrer Mutter sprang sie in den dunklen, nach Heizöl stinkenden Raum hinein und packte den Schrankkoffer, um ihn nach draußen zu schieben.
Valeska stellte sich ihr in den Weg und schob in die Gegenrichtung.
„Lea, er ist immer noch dein Vater!“, schrie sie verzweifelt.
„Das ist er nicht! Es ist ein Ungeheuer mit seinen Gesichtszügen!“
„Solange ich auch noch da bin, wirst du deinen Vater nicht in ein Häuflein Asche verwandeln!“
„Ach nein? Gehört sich das etwa nicht für eine artige Tochter? Lass mich tun, was ich tun muss! Ich habe schon viel zu lange die artige Tochter gespielt! Vielleicht wäre das alles gar nicht passiert, wenn ich schon früher etwas unternommen hätte. Lass mich durch!“
„Nur über meine Leiche!“
„Mama, ich habe sein wahres Ich gesehen. Es ist ein Monster. Es war schon eines, als die Verwandlung noch nicht einmal abgeschlossen war. Nur, damals war noch Menschliches in ihm. Aber das ist jetzt vorbei. Hörst du? Das ist jetzt vorbei! Er wird anders sein, als du ihn kennst. Er wird töten, er wird Angst und Schrecken verbreiten unter Menschen wie uns. Er wird so sein, wie Elisa und Palazuelo sind, die ihm das angetan haben. Die den Menschen Hans Leonardt, die meinen Vater, deinen Ehemann getötet haben. Es gibt ihn nicht mehr. Es gibt nur noch ...“ Voller Abscheu spie sie die letzten Worte aus: „... das da!“
„Und deshalb willst du ihn töten? Weil du so ein Gefühl hast, dass er später mal schlimme Dinge tun könnte? Ist dies das Ergebnis unserer Erziehung – dass du jetzt die vorbeugende Todesstrafe auf Verdacht verfechtest? Und dir anmaßt, sie als Gesetzgeber, Ankläger, Staatsanwalt, Richter und Henker in einer Person zu vollstrecken? Findest du das rechtens?“
„Du sprichst von Recht. Das Recht, von dem du sprichst, sind die Menschenrechte. Ich würde jederzeit mit allem, was ich habe und geben kann, für die Menschenrechte eintreten. Aber das, was in dieser Kiste hier liegt, ist kein Mensch! “
„Der in dieser Kiste liegt, sieht aus wie ein Mensch, spricht wie ein Mensch, kann reden und denken wie ein Mensch. Das ist Grund genug für mich, ihn nicht einfach umzubringen wie ein Stück Vieh – ohne dass er irgendwem etwas zuleide getan hätte.“
„Aber er fühlt nicht wie ein Mensch, versteh das doch! Er ist ein Vampir! Und er wird Menschen töten und andere zu weiteren Vampiren machen, wenn wir nichts dagegen tun! Er wird anderen Leas ihre Väter und anderen Valeskas ihre Männer wegnehmen! Es wird sich immer weiter fortsetzen!“
„Er hat es verdient, dass wir ihm eine Chance geben.“
„Wenn er noch so menschlich ist, wieso lässt du mich ihn nicht an die Sonne bringen? Was sollte schlichtes Sonnenlicht einem menschlichen Wesen schaden? Aber du weißt, dass das nicht geht, stimmt's? Er hat dir erzählt, was aus ihm geworden ist und was das bedeutet. Du hast seine Fänge gesehen. Sonnenallergie, ha! Ich wusste von Anfang an, dass da etwas nicht stimmt. Und jetzt ist er tot. Papa ist tot!“ Schluchzend sackte sie in sich zusammen.
Valeska ging um den Koffer herum zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Er ist nicht tot“, sagte sie leise, „er hat sich verändert, ja, auf eine Art und Weise, die ich nie für möglich gehalten hätte. Und du bist nicht die Einzige, die sich dadurch verletzt fühlt. Es ist fast, als ob er mich ... betrogen hätte. Dieser Biss ... er hat mir erzählt, wie es sich anfühlte ...“
Lea stand auf, grub ein Papiertaschentuch aus ihren Jeans, schneuzte sich die Nase und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Wortlos und mit hängenden Schultern verließ sie den Kellerraum.
Bevor sie nach oben ging, wandte sie sich noch einmal um.
„Ich wünsche mir, dass du recht hast. Dass es immer noch mein Vater ist, der in dieser Kiste liegt. Aber ich glaube nicht daran. In all dieser langen Zeit, die er sich immer weiter von mir wegbewegt hat, war in mir stets die Hoffnung, dass ich ihn eines Tages wieder für mich gewinnen könnte. Ich malte mir aus, dass ich später als Erwachsene mit traurigem Lächeln an diese Zeit der Entfremdung zwischen ihm und mir zurückdenken würde, froh darum, dass es nur eine vorübergehende Phase war …“
Während sie redete, liefen ihr wieder Tränen die Wangen herab. „Das ist jetzt vorbei. Er
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