Das rote Band
Tür hinter sich und sah Ian scharf an. „Wie lange weißt du schon, dass sie eine Frau ist?“
„Seit vorgestern, wie alle“, antwortete Ian.
„Und das soll ich glauben?“, fragte Jake spöttisch.
„Zweifelst du an meinen Worten?“
„Du hast sie trainiert, nah bei ihr gestanden und sie angefasst. Außerdem hast du viel Zeit mit ihr alleine verbracht – in der Waffenkammer!“
„Du unterstellst mir eine Beziehung mit Eloïse?“, rief Ian entrüstet.
„Ich unterstelle es nicht, ich weiß es! Sie war dir zu Willen, und im Gegenzug hast du sie nicht verraten.“ Jakes Tonfall war eisig geworden. „Du bist mit meiner Schwester noch nicht einmal verlobt und betrügst sie schon!“ Er warf Ian einen verächtlichen Blick zu und ließ ihn stehen.
Im Krankenzimmer hielt Eloïse entsetzt die Luft an. Trotz der geschlossenen Tür hatten sie und Lady Joanna den Wortwechsel der zwei Männer verstehen können. Was, wenn die Burgherrin den Behauptungen des Earls Glauben schenkte? „Lady Joanna, Ian ist mein Freund, aber nicht mehr!“, beteuerte sie. „Ich habe Euer Geheimnis schon länger entdeckt und weiß, wie sehr er Euch liebt. Seine Augen fangen jedes Mal an zu leuchten, wenn er Euch sieht.“ Sie sah Joanna beschwörend an. „Ihr müsst mir bitte glauben, Mylady, ich bin nicht seine Geliebte!“
„Keine Sorge, Eloïse.“ Joanna lächelte. „Ich kenne Ian, und ich kenne meinen Bruder. Und im Übrigen: Ich bin Joanna.“
17
Greystone, Oktober
„Ich dachte, du hättest frei?“ Joanna saß am Morgen neben Ian auf dem Bett und betrachtete ihn skeptisch, während er seine Stiefel anzog.
„Ich gehe zu Malcolm in die Schmiede“, erklärte Ian seinen frühen Aufbruch.
„Wegen des Degens, den du Eloïse geschenkt hast?“
Ian nickte. „Bitte sag Jake nicht, wo ich bin. Er nimmt es nur als weiteren Beweis dafür, dass ich ein Verhältnis mit ihr habe.“
Joanna seufzte. „Zu dem Verhalten meines Bruders fällt mir nichts mehr ein“, gestand sie.
„Bist du mir böse, weil ich dir heute nicht im Kräuterhaus helfen kann?“, fragte Ian.
„Nein, natürlich nicht. Du setzt dich bedingungslos für die Menschen ein, die dir wichtig sind. Und das ist einer der Gründe, warum ich dich so liebe.“
„Auch, wenn ich dir noch nie etwas geschenkt habe?“, erkundigte er sich vorsichtig. Die Bernsteinkette lag wohlverwahrt in seinem Schrank, er wollte sie ihr erst zur Hochzeit überreichen.
„Ist das etwa nichts?“ Empört wies Joanna in Richtung des Stuhls, auf dem das Messer lag, das sie stets in den Falten ihres Kleides verborgen bei sich trug. Ian hatte es ihr zum Abschied gegeben, kurz bevor sie zu Prinz Kaylan in die Kutsche gestiegen war.
„Ich meine, ich habe dir noch nie etwas Richtiges geschenkt, ein Armband oder einen Ring“, erklärte Ian verlegen. Vielleicht erwartete Joanna insgeheim schon länger ein ordentliches Geschenk von ihm?
Joanna hielt ihm ihre Hände entgegen, die bar jeden Schmuckes waren. „Erstens lege ich keinen Wert auf solchen Tand und zweitens würde er mich in der Apotheke nur stören.“
„Tand?“ Ian schnalzte mit der Zunge. „Du bist wirklich eine ungewöhnliche Frau. Kein Wunder, dass du dich so gut mit Eloïse verstehst.“
Sie zog die Augenbrauen hoch. „Ungewöhnlich also?“
„Absolut. Du lehnst Königssöhne ab, um dich mit Ehrlosen einzulassen.“ Er zog sie an sich und küsste sie, während seine Hände ihr das Nachthemd von den Schultern streiften …
Etwas später als geplant brach Ian ins Dorf auf. Gut gelaunt traf er in der Schmiede ein und ließ sich von Malcolm in seine Aufgaben einweisen, und alsbald arbeiteten sie gemeinsam in zufriedenem Schweigen. Unter den rhythmischen Schlägen des Hammers schweiften Ians Gedanken zu den Ereignissen der letzten Tage.
Während des Banketts zum Erntedankfest war der Überfall nach dem Dorffest das beherrschende Gesprächsthema gewesen. Besonderes Interesse galt dabei Eloïse. Wobei weniger ihre Rettung der Studenten die Gemüter bewegte, sondern ihre skandalöse Verkleidung als Mann. Ian ließ seinen Hammer sinken. Er selbst hatte sich erstaunlich schnell daran gewöhnt, dass sie eine Frau war. Vorgestern waren die Kleiderkisten aus Coldhill eingetroffen, und er hatte Eloïse, die sich glücklicherweise rasch von ihrer Verletzung erholt hatte, zum ersten Mal in Röcken gesehen. Es war ein ungewöhnlicher Anblick gewesen: die immer noch kurz geschnittenen Haare zu dem mit Bändern
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