Das rote Band
auf seine Schultern herab, und er hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, ein Hemd überzuziehen, nachdem Galad ihm mit der Botschaft geweckt hatte, Samuel habe Joanna entführt. Er war aus dem Bett gesprungen, hatte sein Schwert gegriffen und war auf den Vorplatz der Burg hinausgerannt. Dort war er auf Tam getroffen, der sich ständig entschuldigt und den Vorgang geschildert hatte, doch er hatte dem Soldaten nicht zugehört und nur nach einem Pferd geschrien. Just in dem Moment, als er aufgesessen war, kam Joanna durch das große Eingangstor der Burgmauer geschlendert, und ihn hatte ein furchtbarer Verdacht beschlichen. Er war aus dem Sattel gesprungen, hatte sie auf seine Schulter geworfen und war mit ihr in die Bibliothek gelaufen, ohne ihre Protestrufe zu beachten.
Jetzt stand sie vor ihm, die Arme vor der Brust verschränkt und das Kinn trotzig gehoben. Er sah sie wutentbrannt an und entdeckte zu seiner Genugtuung einen Ansatz von Schuld in ihren Augen. „So, Samuel hat dich entführt, und du konntest dich nicht befreien?“, fragte er ironisch.
„Nein.“
„Und woher hatte er das Messer? Ich hatte ihn nämlich persönlich auf Waffen abgesucht. Es war nicht zufällig deines?“
„Vielleicht.“
Ihre Antworten machten ihn wahnsinnig! „Kannst du dir vorstellen, was in mir vorging, als ich hörte, er habe dich in seiner Gewalt?“, rief er.
Sie sah ihn flehentlich an. „Ian, ich musste es tun.“
Er gab ein Knurren von sich. „Wenn ich nicht so viel zu tun hätte, würde ich dich jetzt mit in mein Zimmer nehmen ...“
„Und mich bestrafen?“, fragte sie unsicher.
„… und dich die nächsten Tage nicht mehr aus meinem Bett lassen! Ich hoffe nicht, dass du das als Strafe empfinden würdest.“ Er nahm ihren Kopf in seine Hände und blickte ihr in die Augen. „Verdammt, Joanna, lass mich nie wieder solche Angst um dich ausstehen müssen, ja?“
Einige Stunden später besuchte Ian Jake im Krankenzimmer. Die Wunde des Earls hatte sich entgegen Joannas Erwartungen doch noch entzündet, und er hatte hohes Fieber bekommen. Ian grüßte Robert, der seinem Herrn die feuchten Umschläge wechselte, und trat besorgt an das Bett. Er griff nach Jakes Hand, um die Temperatur zu fühlen.
„Galad?“ Jake öffnete mühsam die Augen. „Leg dich zu mir, ich vermisse deine Nähe.“ Er führte Ians Hand zu seinem Gesicht und legte sie an seine Wange.
Ian erschrak. Jakes Worte waren zu verräterisch! „Der Earl spricht im Fieber“, erklärte er hastig.
„Aber er sagt die Wahrheit“, erwiderte Robert.
Entsetzt starrte Ian den Kammerdiener an.
Robert lächelte. „Ich wäre ein schlechter Diener, wenn mir die Beziehung meines Herrn zu Lord Lionsbridge entgangen wäre.“
„Wie lange weißt du es schon?“, fragte Ian schockiert.
„Seit ein paar Jahren.“
Ian setzte zu einer weiteren Frage an, doch der Diener fuhr fort: „Der Earl ist ein guter Herr. Seine Zuneigung gilt ausschließlich Lord Lionsbridge. Andere Lords zerren junge Dienerinnen und Diener für ihre Befriedigung in ihre Betten, er nicht.“ Robert schüttelte den Kopf. „Ich habe vor langer Zeit den Mann kennengelernt, dem Greystone zufallen würde, wenn der Earl aufgrund seiner Freundschaft zu Lord Lionsbridge die Burg verlieren würde. Das wäre weder gut für uns noch für die Akademie, deshalb schweigen wir über seine Neigung.“
„Wer ist wir?“
„Die ältere Dienerschaft“, antwortete Robert. „Wenn die Jüngeren es herausfinden, erklärt ihnen Hannah, wie sie sich zu verhalten haben.“
Ian erinnerte sich an das Gespräch, als die Köchin und das neue Dienstmädchen Lissy ihn in Joannas Zimmer entdeckt hatten.
Der Kammerdiener sah Ian aufrichtig an. „Wir wahren das Geheimnis des Earls, genau wie deines.“
„So geheim ist meine Verbindung zu Joanna nicht mehr, befürchte ich“, sagte Ian verlegen.
„Aber das ist nicht das Verschulden der Dienerschaft“, erwiderte Robert würdevoll. „Ian, wir schätzen dich sehr, darum sage ich dir das alles. Du hast nun genug zu tun und musst dich nicht um die Geheimnisse des Earls sorgen. Vor allem, wenn nächste Woche die Prüfungen stattfinden.“
Ian verzog das Gesicht. Er hatte die Zwischenprüfung vollkommen vergessen und damit auch die Ankunft der Prüfungskommission und vieler adliger Familien sowie das Festbankett.
Robert nickte. „Unterstütze die Burgherrin und Lord Lionsbridge, Ian, und halte Greystone am Laufen, für unser aller
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