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Das rote Band

Das rote Band

Titel: Das rote Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Graham
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Verwirrt sah sie in Victorians Gesicht. Auch er musste etwas fühlen, denn in seinen Augen brannte eine Sehnsucht, die noch stärker zu sein schien als ihr eigenes Verlangen. Er lächelte sie an und berührte vorsichtig ihre Finger. Eloïse stockte der Atem. Konnte es sein, dass er …?
    Die Tür des Zimmers wurde aufgerissen, und der Zauber des Augenblicks war zerstört. Lady Amira trat in den Raum, gefolgt von Joanna und zwei Dienstmägden.
    „Amira!“ Schuldbewusst sah Victorian zu seiner Verlobten und räusperte sich. „Wieso bist du nicht beim Feuer, wie ich es gesagt hatte?“
    „Ich konnte nicht.“ Sie lief auf sein Bett zu, wobei sie einen Seitenblick auf Eloïse warf. „Die Sorge um dich war zu groß, Victorian!“
    „Das hat sich vorhin aber anders angehört“, murmelte Eloïse und versuchte unauffällig, ihre Hand von Victorians nacktem Oberkörper wegzuziehen.
    „Lady Eloïse“, Lady Amira sah sie kühl an, „ab jetzt kümmere ich mich um meinen Verlobten! Und nehmt auf dem Weg nach draußen die besudelte Wäsche mit, Victorian freut sich, wenn der üble Geruch verschwunden ist.“
    Eloïse starrte Amira an. Dann nickte sie Victorian zu und verließ hoch erhobenen Hauptes und ohne Wäsche den Raum. Draußen auf dem Gang lief sie wütend auf und ab, bis Joanna aus Victorians Zimmer trat. Die Burgherrin hakte sich bei ihr unter und zog sie mit sanfter Gewalt Richtung Apotheke. Kaum war die schwere Eichentür ins Schloss gefallen, sah Joanna sie so ernst an, dass Eloïse ihre Wut auf Amira prompt vergaß. „Was ist los, Joanna?“, wollte sie wissen.
    „Ich wundere mich über Victorians Krankheit“, gab diese zur Antwort.
    „Warum?“
    „Bis heute Mittag ging es ihm blendend, und kurze Zeit später leidet er unter Bauchkrämpfen und Erbrechen.“
    Eloïse nickte, unsicher, worauf Joanna hinaus wollte.
    „Ich habe mich erkundigt“, sprach die Burgherrin weiter. „Niemand anderem hat das Mittagessen geschadet, niemand anderer in der Burg ist mit diesen Symptomen erkrankt – nur Victorian, der sich übrigens wieder auf dem Weg der Besserung befindet.“ Sie runzelte die Stirn. „Es war ein einmaliger, kurzer und auffällig heftiger Anfall.“
    „Willst du damit andeuten“, fragte Eloïse, „jemand hat ihn vergiftet ?“
    Joanna nickte. „Die Umstände seiner Erkrankung sind mehr als verdächtig.“
    „Aber wer und warum?“
    „Vielleicht eine Studentin, die ein Auge auf Victorian geworfen hat und ihm seine Verlobung mit Amira nicht verzeiht.“
    Eloïse hob die Hände. „Schau mich nicht so an, ich war‘s nicht.“
    „Das weiß ich doch.“ Joanna lächelte. „Du würdest Victorian genauso wenig Schaden zufügen wie ich Ian.“
    Eloïse seufzte. „Ist meine Liebe zu ihm so offensichtlich?“
    „Für mich schon.“
    „Leider ist sie auch hoffnungslos.“ Eloïse zuckte mit den Schultern. „Er will mich nicht.“
    Joanna legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Das tut mir sehr leid. Du wärst tausendmal besser für ihn als diese Lady Amira.“
     
    Es war schon dunkel, als Joanna an diesem Abend die Apotheke verließ. Die letzten Stunden hatte sie in ihren Büchern nachgeschlagen, aber letztendlich war ihr das Ergebnis ihrer Suche von Anfang an klar gewesen: Brechweinstein . Feine, weiße Kristalle, die wunderbar in Wein aufzulösen waren. Brechweinstein wirkte zuverlässig, heftig und beinahe sofort. Leider beantwortete das weder die Frage, wer Victorian das Brechmittel verabreicht hatte noch, warum.
    Missmutig schloss Joanna die Tür hinter sich und machte sich auf den Weg in die große Halle. Letztlich traute sie keiner der Studentinnen eine solche Tat wirklich zu. War es doch ein Mann gewesen? Sie wusste, dass Victorian unter den Studenten nicht sehr beliebt war. Und im vergangenen Herbst hatte er sich den Viscount of Adcoque zum Feind gemacht, aber das war Monate her! Auf der Treppe blieb sie plötzlich stehen. Vielleicht musste sie anders denken: Wem nützte Victorians Erkrankung? Es hatte ihm vom Winterfeuer ferngehalten, und damit war vor allem Amira ein Schaden entstanden. War es doch ein Racheakt einer enttäuschten Studentin? Joanna stieg weiter die Stufen hinunter. Aber wie sollten die Studentinnen den Brechweinstein bekommen haben? Ihre eigenen Vorräte in der Apotheke waren nicht angetastet worden, da war sie sich sicher. Natürlich konnte man das Gift in Chesmuir oder Kerlington kaufen, aber Amira war erst vor einer Woche angereist. Keine der jungen Frauen hatte

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