Das rote Band
verbeugten sich tief, und Eloïse wurde bewusst, dass die drei wohl zum ersten Mal einem solch hochrangigen Adligen begegneten.
„Lord Walraven, Lady Amira, herzlich willkommen in Coldhill.“ Ihr Vater trat vor und setzte die Vorstellung fort. „Meine Frau Mathilda, mein Sohn Korin.“
Victorian neigte den Kopf, doch Eloïse hatte gesehen, wie seine Mundwinkel amüsiert gezuckt hatten, als ihm der echte Korin vorgestellt worden war. Ihre Mutter bat sie ins Haus, und sie kamen der Aufforderung aufgrund der Kälte bereitwillig nach.
Das Erdgeschoss des Gebäudes bestand aus zwei Räumen: einem großen Saal und einer davon abgetrennten Küche. Starke Säulen trugen die Decke, und entlang der kurzen Wandseite führte eine Treppe nach oben. Ihre Mutter geleitete sie an eine lange Tafel in der Nähe des Kamins und forderte sie auf, sich zu setzen. Sie selbst entfernte sich und kam kurz darauf mit einem Krug warmen Würzweins und frischem Brot zurück.
Amira betrachtete das dürftige Mahl und hob fragend die Augenbrauen.
„Wir essen zu Abend, sobald Ihr Euch ausgeruht und frisch gemacht habt“, erklärte ihre Mutter mit einem entschuldigenden Blick.
„Es ist alles wunderbar, Lady Coldhill“, sagte Victorian rasch, wofür Eloïse ihm sehr dankbar war. Denn nicht nur Amira blickte finster, sondern auch Korin, dessen Augen stur auf seinen Teller gerichtet waren. Zwar verdeckten seine offenen Haare weite Teile seines Gesichts, doch Eloïse saß ihm direkt gegenüber und erkannte es genau: Ihr Bruder war wenig erfreut über die Anwesenheit der beiden Gäste.
„Eloïse schrieb uns, Ihr wärt im Besitz eines neuen, robusten Saatgutes, Lord Walraven?“, begann ihr Vater ein Gespräch.
Victorian nickte. „Das ist richtig, Baron. Ich würde Euch und Eurem Sohn morgen gerne erläutern, wie es behandelt werden muss.“
Ihr Vater lächelte. „Wir probieren es gerne aus, viel zu verlieren haben wir in Coldhill ohnehin nicht mehr.“
„Vater!“, rief Korin, dem dessen Offenheit sichtlich unangenehm war.
Eloïse senkte den Kopf. Korin brauchte ihren Vater nicht zurechtweisen, denn es war unübersehbar, wie es um Coldhill stand, wenn statt Dienern ihre Mutter das Essen servieren musste.
„Lady Coldhill“, Amira räusperte sich vernehmlich, „ich würde nun gerne meine Räumlichkeiten aufsuchen.“
Ihre Mutter nickte und erhob sich sogleich. Amira, Victorian und Eloïse folgten ihr die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Kurz darauf blieb ihre Mutter vor einer Tür stehen. „Das ist unser Zimmer für hohe Gäste.“ Sie öffnete die Tür. „Lord Walraven, Lady Amira, ich hoffe, es sagt Euch zu.“
Amirastarrte Lady Coldhill an. „Victorian und ich sollen zusammen hier schlafen? Wir sind noch nicht verheiratet!“
„Oh!“ Eloïse sah, wie ihre Mutter erbleichte. „Da muss ich etwas falsch verstanden haben.“
„Das ist überhaupt nicht schlimm.“ Victorian lächelte. „Gebt mir einfach ein anderes Gästezimmer, Mylady.“
„Nun, Lord Walraven“, antwortete ihre Mutter, „das ist nicht so einfach.“
Verwundert sah Victorian sie an. „Aber Ihr habt doch Gästehäuser für die Durchreisenden, da wird sich doch ein Raum finden lassen.“
„Das schon, aber die Gästehäuser werden nicht mehr gebraucht und sind seit Monaten nicht geheizt worden. Die einzigen warmen Räume befinden sich in diesem Haus.“
„Mama“, sagte Eloïse, um die peinliche Situation zu beenden. „Victorian kann in meinem Zimmer schlafen, und ich übernachte bei Korin.“ An Victorian gewandt erklärte sie: „Das habe ich schon öfter gemacht, wenn Korin krank war.“
Er stimmte zu und folgte Eloïse zu ihrem Zimmer. Kaum hatte sie die Tür hinter Victorian geschlossen, erklang Amiras Stimme vom anderen Ende des Ganges.
„Eloïse! Ich habe in meinem Zimmer einen Badezuber entdeckt und will vor dem Essen baden. Gebt Ihr bitte den Dienstmägden Bescheid, dass sie mir heißes Wasser bringen?“ Sie wartete Eloïses Antwort erst gar nicht ab, sondern schloss sofort geräuschvoll die Tür des Gästezimmers.
Ihre Mutter sah sie verzweifelt an. „Eloïse, du musst Lady Amira sagen, dass ...“
„Nein, Mama!“, erwiderte Eloïse entschieden. „Sie wird ihr Bad bekommen.“
Victorian stand in dem kleinen Zimmer und sah sich um: Ein Bett, zwei Kleidertruhen und ein Schreibtisch mit einem schön gedrechselten Lehnstuhl waren die einzigen Möbelstücke. Ein schmuckloser, einfach eingerichteter Raum. Eloïses Raum. Entgegen
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