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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Bereich ihrer Seelen geweckt, der von Äonen der Zähmung betäubt gewesen war. Hass auf die Menschen - diese zweibeinigen, aufrecht gehenden Wesen - brodelte in ihren Herzen, und Menschenfleisch fressen bedeutete mehr als nur den knurrenden Magen füllen. Viel wichtiger war das vage Gefühl, dass sie der Welt der Menschen die Fehde angesagt hatten und schreckliche Rache an den Herren nehmen würden, die sie über die Jahrtausende versklavt hatten. Natürlich waren die drei Hunde aus unserer Familie die einzigen, die imstande waren, diese archaisch-verschwommenen Regungen in große Theorie umzusetzen und das, was sie taten, mit dem Geist zu analysieren. Das war der Hauptgrund dafür, dass sie die Unterstützung der Meute genossen, doch das allein hätte nicht genügt. Ihre Größe und Kraft, ihre Fähigkeit, schnell und entschieden zu handeln, und ihre Bereitschaft, sich, wenn nötig, selbst zu opfern, spielten eine wesentliche Rolle bei ihrer Machtübernahme.
    Die Kost aus menschlichem Fleisch und Blut hatte ihr Aussehen verändert. Ihr Fell glänzte, ihre Haut war durch die Sehnen, von denen sie sich nährten, gestrafft, die Muskeln wurden durch die ungewöhnlich hohen Hämoglobinwerte kräftiger, und ihr Charakter war ins Bösartige umgeschlagen. Kampf und Töten waren zum Lebensinhalt geworden. Wenn sie daran dachten, wie die Menschen sie versklavt und in ein unwürdiges Leben gezwungen hatten, in dem sie sich von Abfällen ernährten, fühlten sie sich gedemütigt. Die Neigung, Menschen anzugreifen, war den Hunden zum unbewussten Drang geworden, und die Geschehnisse der letzten Tage hatten ihre Feindschaft gegenüber den Menschen verschärft.
    In Wirklichkeit hatten sich die ersten Brüche in der Einheit der drei Hundebrigaden schon zehn Tage zuvor gezeigt. Sie hatten sich aus einer Reihe eher unbedeutender Zwischenfälle entwickelt. Da hatte ein gieriger Hund mit gespaltener Lippe und Nase aus der Brigade des Schwarzen einen menschlichen Arm gestohlen, der einem kleinen weißen Hund aus der Brigade des Grünlichen gehörte. Der kleine Weiße wollte Spaltlippe seinen Standpunkt klarmachen, und der schnappte statt einer Antwort mit seinen kräftigen Kiefern nach dem Hinterbein des Weißen. Dieser bösartige Angriff erregte den Zorn der Hunde in der Brigade des Grünlichen, die sich mit dem stillen Einverständnis ihres Anführers mit blanken Reißzähnen auf den Schuldigen stürzten, ihn in Stücke rissen, ihm den Bauch aufrissen und ihm die zuckenden Eingeweide aus dem Leib zerrten. Die Brigade des Schwarzen war über die Maßlosigkeit empört, mit der die Grünen an einem der Ihren Rache genommen hatten, und die über zweihundert Hunde, aus denen die beiden Brigaden zu jener Zeit bestanden, ließen sich auf eine wilde Schlacht ein, bis Fellfetzen in der lauen Brise davonschwebten und dann das Ufer bedeckten. Die Truppen des Roten nutzten den wirren Kampf aus, um eigene alte Rechnungen zu begleichen. Die drei Hunde unserer Familie saßen ruhig am Rand des Schlachtfelds und beobachteten aus blutunterlaufenen Augen, mit eiskalten Blicken, den Kampf.
    Die offene Feldschlacht wütete über zwei Stunden lang und kostete sieben Hunde das Leben. Mehr als ein Dutzend waren so schwer verwundet, dass sie auf dem Schlachtfeld lagen und nur noch mitleiderregend winseln konnten. Jetzt, wo die Schlacht vorüber war, saßen die Hunde auf dem Pfad zum Fluss, leckten mit langen roten Zungen ihre Wunden und vertrauten auf die Heilkräfte des Speichels.
    Die zweite Schlacht hatte sich erst am Tag zuvor ereignet, als einer der Hunde in der Brigade des Grünlichen, ein unverschämter Rüde mit wulstigen Lippen, vorstehenden Augen und einem bläulichen Fell mit gelben Streifen, sich Freiheiten gegenüber einem hübschen gefleckten Weibchen herausnahm, das zu den Favoriten des Roten gehörte. Wütend stürzte sich der Rote auf den Rüden und stieß ihn in den Fluss. Nachdem er aus dem Fluss geklettert war und das Wasser aus dem Pelz geschüttelt hatte, stimmte er eine zornige Tirade an. Aber das brachte ihm nur den Spott der anderen Hunde ein, für die er ein hässlicher Köter war, der allenfalls eine gesunde Mischung aus Verachtung und Mitleid verdiente.
    Der Grünliche bellte den Roten laut an, um die Ehre seiner Brigade zu verteidigen, aber der kümmerte sich nicht darum und stieß den hässlichen Köter erneut in den Fluss. Als er ans Ufer zurückschwamm und seine weiten Nüstern kaum über Wasser halten konnte, sah er aus wie

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