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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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König Gou Jian von Yue den Respekt und die Sympathie aller anderen gewinnen; und wenn es soweit ist, werde ich die Gelegenheit nutzen, Schwarzauge loszuwerden, und dich als Anführer vorschlagen. Wenn die Herrscherdynastie wechselt, kann man die Disziplin straffen und die Streitkräfte verstärken. Erst werden wir die Gemeinde Nordost-Gaomi unter unsere Kontrolle bringen, dann verlagern wir uns nach Norden, erobern die Gemeinden Südost-Pingdu und Nord-Jiao und vereinen die drei Gebiete unter unserer Herrschaft. Wenn das geschafft ist, können wir an der Salzwassermündung die Hauptstadt der Eisengesellschaft errichten und unter deiner Führung unsere Flagge hissen. Von da aus lassen wir dann unsere Streitkräfte in drei Richtungen ausschwärmen, erobern die Bezirke Jiao, Gaomi und Pingdu und vernichten die Kommunisten, die Guomindang und die Japaner. Wenn die drei Bezirkshauptstädte in unserer Hand sind, können wir unser eigenes Reich gründen.»
    Großvater fiel beinahe vom Pferd. Verwundert blickte er den gutaussehenden jungen Mann an, der so gewaltige politische Pläne entwickelte, und platzte innerlich fast vor Aufregung. Er hielt sein Pferd an, wartete, bis der Schwindelanfall vorüberging, und glitt aus dem Sattel. Vor Wuluan niederzuknien schien unangebracht, also ergriff er nur seine schwitzende Hand und sagte mit zitternder Stimme: «Warum sind wir einander nicht früher begegnet? Warum mussten wir so lange warten?»
    «Das sind keine Worte für einen vom Schicksal auserkorenen Führer. Wir wollen Herz und Geist vereinen, um etwas wirklich Wichtiges zu schaffen.» Wuluan standen die Tränen in den Augen.
    Schwarzauge, der ihnen mehr als fünfhundert Meter voraus war, zügelte sein Pferd und rief: «Was ist los? Kommt ihr jetzt oder nicht?»
    Wuluan legte die Hände vor den Mund und rief zurück: «Wir kommen. Yus Sattelgurt ist gerissen. Wir haben ihn geflickt.»
    Schwarzauge stieß einen Fluch aus und peitschte sein Pferd, das sich ein-, zweimal aufbäumte und davonflitzte wie ein riesiges Kaninchen.
    Wuluan sah Vater an, der mit weit aufgerissenen Augen auf seinem Pferd saß. «Junger Herr Yu», sagte er, «wir haben wichtige Dinge besprochen. Kein Wort davon zu irgend jemand!»
    Vater nickte energisch.
    Wuluan gab seinem Pferd die Zügel, und der Schecke, vom Druck der Kandare befreit, scharrte den Boden, wie jemand, der sich dehnt, streckte den Schweif und flitzte los wie der Wind. Schwarze Erdschollen flogen wie Granatsplitter in den Fluss.
    Großvater fühlte sich stärker und klarer als seit Jahren. Die Worte, die Wuluan gesprochen hatte, waren ein Tuch, das sein Herz polierte, bis es glänzte wie ein Spiegel. Wellen der Freude wogten durch sein Herz, weil er endlich das Ziel seiner Anstrengungen erkannte und eine strahlende Zukunft vor sich liegen sah. Seine Lippen öffneten sich, und Worte drangen aus seinem Mund, die selbst Vater, der ihm im Schoß saß, nicht deutlich verstand: «Der Himmel will es!»»
    Zwischen Galopp und Trab wechselnd, erreichten die Pferde gegen Mittag wieder das Ufer des Schwarzwasserflusses.
    Am Nachmittag ließen sie den Fluss hinter sich, und bei Anbruch der Nacht hob sich Großvater im Sattel und blickte auf den Salzwasserfluss, der sich halb so breit wie der Schwarzwasserfluß durch eine Ebene ausgelaugter Erde wand. Seine grauen Wasser hatten den getrübten Glanz von stumpf gewordenem Glas.
     
     
8
     
    Im Herbst 1928 vernichtete Bezirksrichter Cao Mengjiu in der Gemeinde Nordost-Gaomi mit einem genialen Schachzug die Bande meines Großvaters. Später, als mein Großvater in Hokkaido in den Bergen lebte, dachte er oft an diese tragische Episode in seinem Leben zurück. Er entsann sich, mit welcher Selbstzufriedenheit und welch unvorstellbarer Torheit er sich damals in einem schwarzen Chevrolet über die holprigen Bergstraßen seiner Heimat hatte fahren lassen. Er war der Lockvogel gewesen, und achthundert gute Männer waren ihm in die Falle gefolgt. Seine Glieder erstarrten zu Eis, wenn er daran zurückdachte. Er sah die achthundert Mann vor Augen, die man in einer abgelegenen Schlucht außerhalb von Jinan in Reihen aufgestellt hatte und mit Maschinengewehrgarben niedermähte. Wenn er, einen zerfetzten Rupfensack auf dem Rücken, im flachen Gewässer seine Fischnetze auswarf, konnte er die blau-grauen Wellen sehen, die über die halbmondförmige Bucht wogten, und der Anblick erinnerte ihn an die Dämme in den Reisfeldern, an den Schwarzwasserfluß, an den

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