Das rote Zimmer
unprofessionell und …«
»Sie hatten Recht«, unterbrach mich Oban.
Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht sehen, denn während er sprach, beugte er sich vor und rieb sich die Augen. Er war müde.
»Was?«
»Das Ganze war eine absolute Schnapsidee. Sie hatten Recht. Ich habe mit ein paar Leuten in unserer Rechtsabteilung gesprochen. Es ist genau so, wie Sie gesagt haben, das Band würde mit ziemlicher Sicherheit nicht als Beweismittel zugelassen. Das arme Mädchen hat Doll an der Nase herumgeführt, daran besteht kein Zweifel.« Er sah Rosa mit einem dämlichen Grinsen an, das er sofort unterdrückte, als sie mit einem Stirnrunzeln reagierte.
»Na, dann ist es ja gut«, antwortete ich achselzuckend.
»Aber deswegen bin ich nicht gekommen. Ich habe Dr. Deitch angerufen, weil ich Sie zurückwill.«
»Zurück?«
»Sie haben gute Arbeit geleistet. Ich möchte, dass Sie uns bei den Ermittlungen weiterhin behilflich sind.«
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.«
»Warum?«
»Aus mehreren Gründen. Einer davon ist Furth. Können Sie sich vorstellen, dass ich weiter mit ihm zusammenarbeite? Er hat vor Wut gekocht.«
»Furth ist mein Problem. Außerdem leitet er die Ermittlungen in diesem Fall sowieso nicht mehr. Das tue jetzt ich.«
»Oh«, sagte ich. »Trotzdem glaube ich nicht, dass Ihnen meine Mitarbeit viel bringen wird. Ich habe so was eigentlich noch nie gemacht. Ich arbeite bloß mit Leuten wie Doll. Ich habe keine zündenden Ideen.«
Oban stand auf, trat ans Fenster und drehte sich zu uns um.
»Dieser Fall ist ganz einfach«, erklärte er. »Ein primitiver, schrecklicher Mord. Suche dir eine Frau an einem einsamen Ort, töte sie, lauf davon. Der Kerl ist noch irgendwo da draußen. Wir brauchen bloß ein bisschen Glück. Ein bisschen Glück, und wir kriegen ihn.«
»Warum haben Sie Rosa angerufen?«, fragte ich misstrauisch.
»Warum nicht mich?«
»Weil er meine Meinung hören wollte«, antwortete Rosa.
»Du meinst, er wollte wissen, ob ich verrückt bin?«
Rosa grinste. »Dazu sage ich lieber nichts. Nein, er wollte nur wissen, ob es fair ist, dich zu fragen.«
»Und was hast du gesagt?«
»Dass er dich selbst fragen soll.«
»Du meinst, ob es fair ist, mich zu fragen?« Sie zuckte mit den Achseln.
»Was meinen Sie?«, fragte Oban.
»Ich werde darüber nachdenken«, antwortete ich lahm.
»Gut. Ich möchte Sie unbedingt dabeihaben. Nennen Sie mir Ihre Bedingungen. Sie haben freie Hand und bekommen von mir alles, was Sie brauchen.«
Die Tür flog auf, und Julie kam mit einem Tablett herein. Wo hatte sie das bloß aufgestöbert? Es standen drei Schüsseln darauf.
»Bevor Sie irgendwas sagen«, erklärte sie, »möchte ich Sie darauf hinweisen, dass das hier kein Abendessen ist.
Bloß ein kleiner Snack. Sie haben bestimmt Hunger, nicht wahr, Mr. Detective?«
»O ja«, antwortete Oban mit einem interessierten Blick auf das Tablett. »Was gibt es denn?«
»Lauter ganz einfache Sachen. Das hier ist Schinken mit Feigen, das ein Artischockensalat und das hier bloß ein kleines Omelett mit Zucchini. Ich hole uns Teller.«
Als sie zurückkam, brachte sie nicht nur Teller und Gabeln, sondern auch Gläser und eine bereits geöffnete Flasche Rotwein. Eine sehr teure Flasche Wein, die Albie gehörte und die er mitzunehmen vergessen hatte, was ihm aber bestimmt irgendwann einfallen würde. Julie war also doch für etwas gut. Großzügig füllte sie unsere Gläser.
Sowohl Oban als auch Rosa nahmen sich von allen drei Gerichten.
»Es schmeckt ausgezeichnet, Julie«, verkündete Rosa.
»Köstlich«, pflichtete Oban ihr bei. »Ich muss sagen, das scheint mir ein sehr gutes Arrangement zu sein. Wie lange sind Sie und Kit denn schon, ähm, Sie wissen schon …«
»Oh, erst ein paar Wochen«, antwortete Julie fröhlich.
Ich leerte mein Glas in einem Zug.
9. KAPITEL
Als ich am nächsten Tag zu einer Besprechung nach Stretton Green fuhr, legte Oban zur Begrüßung den Arm um mich und gab mir damit das Gefühl, eher seine Lieblingsnichte zu sein als eine kompetente Beraterin.
Dann führte er mich durch das Büro, um mich dem größtenteils neuen Team vorzustellen, das inzwischen im Fall des Kanalmords ermittelte. »Danke für den gestrigen Abend«, sagte er. »Das Essen war köstlich.« Er drehte sich mit einem fragenden Blick zu mir um. »Wann haben Sie und Julie sich, ähm, kennen gelernt?«
»Ich weiß nicht. Vor Jahren. Sie war eine Freundin von Freunden von mir. Ich bin nicht
Weitere Kostenlose Bücher