Das Runenschwert (Die Saga von den drei Königreichen) (German Edition)
musste. Als sie sich umdrehte, hatte sie erwartet die Meerseite zu erkennen, doch sie sah kein Meer. Alles was sie sehen konnte, war eine weiße Fläche, die im Nichts endete. Auf der anderen Seite zeichneten sich zwar die Berge ab, so dass sie zumindest wusste, wo sie nicht hinreiten durfte, aber die ganze westliche Seite war offen. Sie entschied sich nach Gefühl zu reiten, denn die Sonne begann im Westen unterzugehen. Westen, so überlegte sie, das musste die Richtung sein, aus der sie geko mmen war. In diese Richtung ließ sie das Pferd langsam traben.
Es verging eine weitere halbe Stunde, in der die Sonne nun vol lständig untergegangen war. Cathyll konnte mittlerweile überhaupt nichts mehr sehen, doch versuchte sie nicht in Panik zu verfallen. Vor ihr war nur weißer Schnee, der sich unendlich auszudehnen schien, wenn der Mond kurz hinter der dichten Wolkendecke hervorbrach. Sie fragte sich, ob sie eigentlich in die richtige Richtung ritt, doch vertraute sie darauf, dass Eiswind seinen Weg zurück finden würde. Mittlerweile ging auf der Ebene ein kalter Wind, der die Wärme in eisige Kälte umgewandelt hatte. Sie war es nicht gewohnt zu beten, aber nun rief sie instinktiv die Sonne an, dass sie ihr helfen möge.
Tatsächlich tauchte nach weiteren zehn Minuten der vertraute Wald vor ihr auf, der offensichtlich auch die Sicht auf das Meer verdeckt hatte. Wahrscheinlich war sie zu weit in den Süden oder in den Norden abgetrieben worden, so dass sich unter ihr womöglich nicht das Dreischafetal, sondern irgen dein Nachbarfjord befand. Diese neue Erkenntnis ließ Cathyll innerlich schaudern. Wenn sie nicht im Dreischafetal landen würde, dann könnte sie am Ende auf ein paar kantigen Klippen enden, die sie direkt ins Meer hinabführen würden. Sie konnte nicht einfach herabreiten, sie musste sich erst sicher sein, dass sie oberhalb des Tals war. Und dazu musste sie jetzt eine Entscheidung fällen: Sollte sie links gen Süden reiten oder rechts gen Norden, bis sie die Lichter der Höfe talwärts erkennen konnte? Sie hatte keine Ahnung, doch sie wusste, dass es besser war eine Entscheidung zu treffen, als in der Kälte stehen zu bleiben, also zog sie den linken Zügel und ritt so in Richtung Süden. Der Schnee wurde tiefer und sie beugte sich weiter auf den Hals des warmen Tieres. Sie verfluchte sich für ihre eigene Dummheit. „Jetzt habe ich eine tödliche Hofintrige in meinem Schloss, die mögliche Versklavung an den König der Norr und eine Schiffsreise auf einem alten Kutter überlebt und verende womöglich, weil ich zu dumm war, mir die Richtung zu merken“, flüsterte sie Eiswind ins Ohr. Der Hengst trottete kommentarlos weiter.
Als sie nach einer ganzen Weile immer noch keine Lichter an der Meerseite erkennen konnte, wusste sie, dass sie sich für die falsche Richtung entschieden hatte. Der Wald war kargen Felsen gewichen, die nun direkt herabfielen und die Sicht aufs tosende Meer freigaben. Sie drehte das Pferd und ließ es zurücktraben. Der Wind war inzwischen so stark, dass er direkt durch ihren Wollumhang zu blasen schien. Ihre Hände konnte sie nicht mehr spüren. Wie spät es wohl sein mochte? Sie vertrieb die Gedanken daran wie dumm sie gewesen war und versuchte nach vorne zu blicken, hoffte erlösende Lichter zu sehen. „Bitte, Eiswind, trag mich wieder nach Hause“, hauchte sie das Pferd an. Inzwischen hatte es angefangen zu schneien, so dass sie nicht mehr weit sehen konnte. Sie war einen solch schnellen Wetterumschwung einfach nicht gewohnt aus ihrer Heimat. Während sie sich von Eiswind tragen ließ, dachte sie zurück an die warmen Abende vorm Kamin, die sie mit Ma’an verbracht hatte. Sie wünschte sich, dass Ma’an mit ihr gekommen wäre, auch wenn sie wusste, dass das eigensinnig war, weil sie der Zofe solche Strapazen und die ganze Aufregung eigentlich nicht zumuten wollte. Doch sie vermisste das warme Gemüt und die Geduld mit der Ma’an ihre Possen ertragen hatte. Dann erinnerte sie sich an jenen Tag, erst ein paar Wochen war er her, doch war das Mädchen, das diesen Tag wahrgenommen hatte, ein anderes gewesen. Sie war im Wald mit Bran und Rabec jagen gewesen und hatte einen Fuchs mit einem Schuss erlegt. Damals war sie davon ausgegangen, dass ihr schönes Leben immer weitergehen würde. Sie war so naiv gewesen.
Als sie aus der Erinnerung erwachte und vor s ich blickte, da wusste sie, dass sie wohl nicht mehr in das Tal kommen würde. Die Flocken wurden immer dicker und kamen
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