Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
Vom Netzwerk:
zutreffend.«
    »Oh, Jammie, bitte, ich will nicht gemein sein. Bring mir den Text vorbei, und ich sage dir etwas dazu. Wir könnten es noch einmal mit einem Lunch versuchen.«
    »Ja, lass uns das machen«, sagte ich. »Ich führe dich gern aus - wenn du nicht meckerst.«
    Sie kniff mich in die Nase. »Und wenn du nicht unfreundlich bist...«
    »Und wenn du nicht wieder das Opfer spielst...«
    Wir mussten lachen. Rafi hatte uns stumm und mit angehaltenem Atem beobachtet. Er hatte nur einmal gesagt: »Wohl wahr, P l aton ist gewiss ein großer Denker.« Dabei hatte er meine Stimme nachgeahmt, überraschend tief, angeberisch und mit Mittelschicht-Akzent.
    Als ich jetzt ging - »War es wirklich feist genug? Geht es dir besser? Kommst du wieder?« -, drückte er mir das Menü in die Hand und seine Nase an meinen Ärmel.
    »Alkohol, Kippen, Pisse. Das ist dein Geruch.«
    »Du wirst ihn dein Leben lang nicht vergessen.«
    »Ich fühle mich dir so nahe, Dad«, sagte er. »Wir sind fast wie eine Familie.«
    »Sehr witzig. Gib deiner schönen Mum Küsse von mir - viele.« »Kannst du denn gar nichts selbst erledigen?«
    Unterwegs blieb ich stehen, um noch einmal das Menü zu lesen. Ich würde es niemals wegwerfen.
    EINUNDDREISSIG
    Wenn man das Pech hatte, am Cross Keys vorbeizulaufen, ohne den Laden zu kennen, hätte man vermutlich geglaubt, er wäre geschlossen. Die Fenster waren mit Latten vernagelt und mit Graffiti besprüht. An einer Seite des Pubs stand ein rostiges, mit Stacheldraht bewehrtes Baugerüst, und da es keine anderen Anzeichen für Bauarbeiten gab, kam mir der Gedanke, dass das Gerüst vielleicht die ganze Bude stützte. Würde man sie nicht bald abreißen, dann würde sie einfach so in sich zusammenfallen. Obwohl es nicht einmal ein Pub-Schild gab, war immer etwas los, und manchmal war der Laden rammelvoll.
    Das Cross Keys stand an der Ecke einer verwahrlosten Straße, die von niedrigen Industriegebäuden gesäumt wurde. In einer günstigeren Lage hätte man diese wohl zu Lofts und Galerien umgebaut, doch hier sammelte sich der Drogenmüll vor den Türen.
    Ich zwängte mich an einer Gruppe langer Afrikaner vorbei, die an der Ecke auf Kunden für ihre Mini-Cabs warteten, und ging zu der angedetschten Tür. Ich war länger nicht mehr da gewesen, aber es war noch alles beim Alten. Gleich hinter der Tür befand sich eine kleine Bar, dann kam ein größerer Raum mit winziger Bühne und geschwärzten Fenstern. Hier traten nonstop Stripperinnen auf, die sich jeweils zur Musik einer Platte auszogen.
    Die Mädchen waren hübsch, vielleicht auch nur hübsch hässlich, jung und alt, Schwarze, Inderinnen, Chinesinnen. Mein letzter Besuch im Keys war Monate her, aber ich wusste immerhin, dass ich hier keinem Patienten, ja keinem einzigen Bekannten über den Weg laufen würde, von Bushy einmal abgesehen. Hier konnte man Zeitung lesen, ein Bier trinken und dabei aus nächster Nähe die Beine einer Frau in Stöckelschuhen anstarren.
    Manchmal gab es Krach. Für gewöhnlich waren beide Bars voller abgebrühter, lauter Männer - oder achtbarer Männer mit Aktentasche und Regenschirm, die sich nach kurzer Zeit ebenfalls als laut und abgebrüht entpuppten - und Mädchen in Reizwäsche, die mit Biergläsern herumliefen und Kleingeld einsammelten. Die Männer drängten sich vor der winzigen Bühne, und zu fortgeschrittener Stunde brachen sie auch gern darauf zusammen, was nicht ganz ungefährlich war, weil sich die zickigen Salomes oft versucht fühlten, den Gestürzten gegen den Kopf zu treten.
    Im Cross Keys gab es weder Rausschmeißer noch Remix-Versionen oder Kameras. Natürlich war der Fußboden in der Toilette von Scherben übersät, und wenn man pisste, tropfte einem kaltes Wasser aus dem Spülkasten auf den Kopf. Hinter der Bar hing ein handgeschriebenes Schild mit der Aufschrift: »Bitte immer das Hemd anbehalten!«
    In diesem Schuppen führte eine krakeelende Wuchtbrumme das Regiment, mit der sich außer Bushy niemand anzulegen wagte. »Lasst meine verfickten Tänzerinnen in Frieden!«, schrie sie, wenn jemand ein Mädchen begrabbeln wollte. Verrückterweise überstrahlte die tschechische Bardame, ein Mädchen Mitte zwanzig, mit ihrer engelsgleichen Schönheit alle nackten Stripperinnen, denen sie hin und wieder einen gleichgültigen Blick zuwarf. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass sie die einzige Person war, die man gern ohne Kleider gesehen hätte.
    Mit der Wuchtbrumme war Bushy eine Weile »gegangen«.

Weitere Kostenlose Bücher