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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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gespielt. Manchmal zeigte er mir den Stinkefinger oder, wenn ich Glück hatte, zwei Finger. Im Vorbeigehen rempelte er mich gern an und tat dann so, als wäre es nur ein Versehen gewesen. War ich langmütig? Vermutlich. Miriam war auf jeden Fall so. Gute Eltern müssen das wohl ertragen, auf jeden Fall bis zu einem gewissen Grad.
    Dann begann er, mich schmerzhaft zu kneifen. Entweder ich ignorierte ihn, oder ich schenkte ihm zu viel Aufmerksamkeit. Ich sagte ihm mehrmals, er solle es lassen, doch es machte ihm Spaß, und er kicherte und grinste. »Das hältst du nicht aus, wie?«, sagte er. »Schwächling. Ich komme nie wieder zu dir, du hast ja nicht einmal Sky.
    Wenn wir Fußball gucken wollen, müssen wir in den Pub oder zu deiner Schwester gehen. Da ist es scheiße. Warum hast du keine Freundin?« Und er kniff und kniff.
    Ich zog den Fuß nach hinten und trat ihn mit Wucht gegen den Kopf. Er gab keinen Ton von sich, sein Kopf sackte einfach nur nach unten. Dann sah er mit seinen braunen Augen ungläubig zu mir auf, als wäre er gerade das Opfer des denkbar schlimmsten Verrats geworden. »Mein Kopf ist taub«, sagte er. Er stand auf und schrie: »Ich kann meinen Kopf nicht mehr spüren!«
    Er rannte ins Bad und schloss sich ein. Er war verletzt, aber nicht so sehr, dass er sein Handy vergessen hätte. Er rief mehrmals bei seiner Mutter an. Nachdem ich ihn aus dem Bad geholt hatte, verbrachte er den Rest des Tages in einem Schrank, und ich musste davorstehen und ihn bitten, endlich herauszukommen, wobei ich vor mich hin murmelte: »Du kleines Arschloch. Ich habe jahrelang auf meine Sexualität verzichtet, um mit dir sein zu können, also sei jetzt nett zu mir!«
    Am Ende ließ ich ihn in Ruhe und kehrte zu meinen Zeitungen zurück. Nachdem er abends wieder weg war, stellte ich fest, dass er in den Schrank gepinkelt hatte. Er hatte Josephine erzählt, ich hätte auf seinem Kopf herumgestampft und versucht, ihn zu töten.
    Ich rief bei Josephine an, um mich zu entschuldigen und die Sache zu erklären, und erwartete eigentlich, dass sie mich zusammenstauchen würde. Ich sagte ihr, der Junge hätte erleben müssen, zu was Väter imstande seien, in welche Monster sie sich verwandeln könnten, wenn man sie zu sehr reize. Er habe meine Grenzen ausgetestet und sie dabei überschritten. Ich sagte, ich würde mich schämen; zugleich verteidigte ich mein Verhalten. Doch Josephine konnte mich verstehen. Seit sie wieder zur Arbeit ging - und sie war überzeugt, dass das der Grund war -, hatte Rafi sie mehrmals angegriffen, an den Haaren gezogen und eingeschüchtert. Dann wieder war er auf die Straße gerannt und eine Stunde lang verschwunden gewesen, was ihr große Sorgen gemacht hatte. Jetzt, da er schwierig wurde, mussten wir als Eltern den Schulterschluss üben. Wenn sie und ich wieder miteinander redeten -und ich war mir sicher, dass wir beide dies wollten -, dann war er gleichsam die Leitung. Wir konnten einander nur auf dem Umweg über ihn lieben.
    Diese Solidarität freute mich. Ich hatte nicht schlafen können, weil ich ihm wehgetan hatte. Aber er besaß ein starkes Ego; er war nicht nachtragend und zu sehr an der Welt interessiert. Als ich ihn das nächste Mal sah, versuchte er, auf seiner E-Gitarre zu spielen, die ich für ihn stimmen musste. Dabei spielte er mir auf dem Computer seine neue Lieblingsmusik vor und warf mir immer wieder kleine Blicke zu, um meine Zustimmung zu erheischen.
    »Tja, und ich«, sagte Lisa, »streite mich immer noch mit meinem Vater.«
    »Lies mir doch etwas vor, um mich aufzuheitern, Lisa.« »Im Ernst?«
    »Ich würde gern das Gedicht hören. Du könntest einmal etwas für mich tun, nachdem du mich den ganzen elenden Weg durch den Regen hierhergeschleift hast.«
    Sie spuckte ihre Zigarette aus, zertrat sie auf dem Fußboden und begann ohne Leidenschaft oder Emphase zu lesen. Ihr Gesicht verkrampfte sich, und ihre Zunge zuckte. Nach ungefähr zehn Minuten verstummte sie.
    Ich bedankte mich bei ihr und sagte: »Hast du nicht schon etwas veröffentlicht? Ich meine, dass du mir so etwas in der Art erzählt hast.«
    Sie hatte in Oxford Englisch studiert und eine Doktorarbeit über »Wahnsinn in der weiblichen Dichtung« geschrieben, wenn ich mich richtig erinnerte.
    »Ja, in Studentenzeitungen. Hat niemand bemerkt.«
    »Soll ich die Sachen irgendjemandem geben?«, fragte ich.
    »Damit sie veröffentlicht werden? Ich kann keine Künstlerin sein.«
    »Vielleicht bist du schon eine.«
    »Meine

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