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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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einem Alter, in dem ich mich ständig mit meinem Tod beschäftigen muss. Ich habe festgestellt, dass das Leben nicht einfacher wird. Wie viele andere alte Männer denke ich allerdings oft über die Lust nach. Andere Leute sind immer ein Störfaktor, das ist wohl nicht zu ändern, aber wenn es sich um Schauspieler handelt, kann ich sie immerhin dazu bringen, eine Rolle in meinen Szenarien zu spielen. Insoweit könnte man sagen, dass ich immer auf der Flucht vor meinen Leidenschaften gewesen bin. Ich hatte Angst, süchtig zu werden. Ich habe versucht, einen Ersatz dafür zu finden. Doch ich gestatte mir den Glauben, dass ich noch lieben kann.«
    Henry hatte immer offen zugegeben, sich vor einem erfüllten Sexualleben gefürchtet zu haben. Er war ihm lange aus dem Weg gegangen, als hätte er eine Phobie davor, teils aufgrund von Schuldgefühlen, weil er, nachdem er endgültig begriffen hatte, wie absurd der Versuch eines gemeinsamen Lebens mit Valerie war, die Kinder verlassen hatte.
    Er sagte: »Vor ein paar Jahren habe ich mich mal mit einer Schauspielerin getroffen, und ich weiß noch, dass sie mir erzählt hat, bei einem alten Mann eingeladen gewesen zu sein - irgendein hohes Tier. Seine Frau lag im Nebenzimmer im Sterben. Er bat die Schauspielerin, ihre Brüste zu entblößen, die er dann auch noch küssen wollte. Wir hielten das beide für würdelos. Jetzt werde ich ein solcher Mann.
    Wenn man von den Rolling Stones und ihren Artverwandten absieht, bestand die wichtigste Erneuerung der Nachkriegszeit ganz eindeutig in der Pille, die den Sex von der Fortpflanzung abgekoppelt und zur beliebtesten Art der Unterhaltung gemacht hat. Allerdings - und das entbehrt nicht der Ironie - darfst du nicht vergessen, dass die Frauen während meiner Blütezeit nicht nur überall behaart waren, sondern auch Stiefel trugen. Sie trugen sogar Blaumänner. Sie hatten kurze, stachelige Haare und riesige, runde Ohrringe. Sie haben Straßen gefegt und auf dem Bau malocht. Angeblich war das eine historische Epoche, Mann. Wohl wahr! Alle diese Frauen arbeiten jetzt für Blair.
    Heute sind die jungen Frauen wieder richtige Biester. London wimmelt von ihnen. Im Sommer könnte man in der Stadt angesichts all dieser unerreichbaren Schönheiten das Heulen kriegen. Aber in romantischer Hinsicht hat diese haarige Ära vielen von uns einen Schock fürs Leben versetzt. Einmal die Hand auf die falsche Stelle gelegt, und schon warst du ein Vergewaltiger. Es liefen Männer herum, die waren harmloser als eine entschärfte Granate. Ich war allmählich überzeugt, dass andere meinen Körper widerlich fanden, und was mich betraf, so fand ich die Körper anderer sowieso widerlich. Wir sind Lehmklumpen voller Lust. Oh, ich bin so unglaublich am Arsch.«
    »Aber jetzt hast du Miriam.«
    Er lächelte. »Ja, das stimmt. Und zu meiner Überraschung mag sie mich immer noch.«
    Den Blick auf den Treibsand seines Dal gesenkt, erzählte er mir, dass sie immer in seiner Wohnung Sex gehabt hatten - bis gestern Abend. Gegen elf Uhr, sie trieben es gerade mit Seilen, Masken und einer Lyrik-Anthologie, ging plötzlich die Tür auf. Sekunden später reckten Sam und seine neueste Flamme - die junge Frau, die als Modejournalistin arbeitete und die wir nur als Pantoffel-Frau kannten - die Köpfe nach ihnen. Alle starrten einander an, bis Henry um Privatsphäre bat sowie darum, man möge Wasser aufsetzen. Miriam band Henry los, und die beiden zogen sich an. Sam wartete mit der Pantoffel-Frau in der Küche. Bushy fuhr Miriam nach Hause; alle gingen zu Bett.
    Vor einem Jahr, als Henrys Sohn verkündet hatte, er wolle bei ihm leben, war Henry regelrecht in Panik geraten, in erster Linie vor Freude. Sam hatte immer bei seiner Mutter gelebt, aber schließlich war sie ihm zu peinlich geworden. Er hatte eine Freundin, mit der Valerie herablassend gönnerhaft umging: »Ja, was für hübsche Kleidchen! Hast du die selbst genäht?«
    Sam nahm sich zum ersten Mal selbst eine Wohnung. Doch als er merkte, dass er nicht nur Miete zahlen, sondern auch Rechnungen begleichen und manchmal sogar Möbel kaufen musste und fast gar nichts für Drogen, Klamotten und Musik übrig hatte, zog er mit den Worten zu Henry: »Unfassbar, wie teuer diese Stadt ist!«
    Henry hatte darüber gelacht, wie wenig Ahnung sein Sohn vom echten Leben hatte, und er hatte sogar seiner Tochter Lisa davon erzählt. Sie, die Realitätserfahrene, sagte: »Und da wunderst du dich, dass ich dich verachte!«
    Da Henry seine

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