Das sag ich dir
mich, seine Ex-Frau Valerie und einige andere frühere Freundinnen an, mit denen er jahrelang gefühlsneutralen - oder gar keinen - Sex gehabt hatte. (Auch wenn die Trennung von einer Frau viele Jahre her war, ließ Henry sich nicht davon abhalten, mit ihr täglich, oft sogar stündlich, über die persönlichsten Dinge zu reden.)
Danach war er zu Bett gegangen. Dort hatte er einen Anruf von Lisa erhalten, die ihm sagte, auch sie sei von der Sache »angekotzt«. Nicht, dass sie in irgendeiner Weise Zeugin des Vorfalls gewesen wäre, aber sie hatte durch ihren Bruder davon erfahren. Henry ging ganz gut damit um und teilte beiden Kindern mit, dass sie das verdammt nochmal nichts angehe. Würde er ihnen vielleicht vorschreiben, wie sie zu vögeln hätten?
»Angekotzt!«, wiederholte er in einem fort, »angekotzt! Ist das etwa das Furchtbarste, was sie je gesehen haben? Ja, in welcher Welt leben sie denn?«
Henry war verzweifelt, weil Sam gedroht hatte auszuziehen. Er hatte erwidert, das werde er nicht zulassen. Er werde Sam überallhin folgen und ihn am Kragen zurückschleifen oder sich draußen vor seine Haustür legen, egal wo. Die Sache war komplett schief gelaufen. Ich erinnerte Henry daran, dass er jetzt Miriam habe - der er viel Zeit widme -, was in Sam zwangsläufig Feindseligkeit wecke. Sam wollte nicht das Gefühl haben, seine Mutter zu verraten, indem er mit Henry und dessen neuer Freundin, Miriam, abhing, jener Frau, die Henry zu guter Letzt wirklich liebte.
»Ja«, sagte er, »das verstehe ich.«
Obwohl Henry aller Welt erzählt zu haben schien, dass er von seinem Sohn in flagranti erwischt worden war, hatte er Miriam die Reaktionen von Sam und Lisa verschwiegen. Nicht, dass Miriam gefragt hätte - sie kam gar nicht darauf, dass sich Henrys Mittelschicht-Kinder über eine so harmlose Sache aufregen könnten.
Obwohl der Vorfall und seine Nachbeben für Verwirrung sorgten, konnte ich feststellen, dass Henry sich dadurch nicht seine Freuden trüben ließ, die sich mit jedem Tag weiter entfalteten. Henry hatte immer fasziniert und angeekelt zugleich gelauscht, wenn seine schwulen Freunde von ihren Abenteuern in Clubs und Bars, auf der Hampstead Heath, ja sogar auf der Straße erzählten. Am liebsten wäre er einmal mitgenommen worden, um die Sache mit eigenen Augen zu sehen, hatte aber nie genug Mut gehabt. Außerdem hatte er sich gefragt, ob eine solche Lebensweise auch einem Hetero gefallen würde.
Ein paar Tage nach unserem Abendessen war Henry bei Miriam. Sie zeigte ihm ihre Fotos: Mutter und Vater; sie und ich in Pakistan; ihre Kinder in jüngeren Jahren; der Mann, der sie verprügelt hatte; ihre Lieblingstätowierungen.
»Und das da?« Er zeigte auf ein verschnürtes Fotoalbum.
»Mein schwarzes Album?«, sagte sie. »Schmutzige Bilder. Mein erster Mann hat mich oft in Posen fotografiert und die Bilder dann an Pornohefte geschickt, Reader's Wives und so. Er bekam fünfzig Pfund dafür. Ein paar dieser Fotos sind in dem Album, außerdem welche von Partys und Orgien und Sachen, die wir mit den Nachbarn abgezogen haben.« Sie begann, das Band aufzuschnüren. »Wenn du dir diese Fotos anschaust«, sagte sie, »musst du mir aber versprechen, nicht angepisst zu sein.«
Henry erzählte mir: »Ich habe mir die obszönen Bilder angeschaut, die billigen Klamotten und die fertigen Leute, und ich war angepisst, weil sich so etwas in stinknormalen Wohnungen abgespielt hat, während ich zu Hause saß und ein Buch las. Und es hat mich erregt. Am gleichen Vormittag hatte ich noch überlegt ob ich nicht doch besser ein bisschen kürzer treten sollte. Ist ja immerhin meine zweite Lebenshälfte, und bald holen mich die Zipperlein ein. Jetzt wären eigentlich das Malen dran, die Enkelkinder, geruhsame Urlaube mit einem Buch, das ich immer schon lesen wollte, Interviews über mein Lebenswerk, meine Ansichten zu den letzten fünfzig Jahren.
Neulich war ich bei Freunden auf einer Party. Beim Eintreten stellte ich fest, dass alle graue oder weiße Haare hatten. Sie waren alt und erledigt, genau wie ich. Ich habe diese Leute mein ganzes Leben gekannt.
Ich glaubte schon, vor Langeweile sterben zu müssen, bis ich erfuhr, dass es noch einen anderen Weg gibt. Der Teufel rief mich! Endlich bekam ich seine Aufmerksamkeit!«
Wegen der vielen Kinder und des Chaos und weil überall jemand schlief, konnten die beiden bei Miriam keinen Sex haben.
»Nach dem Betrachten dieser Fotos war ich so heiß, dass ich sie gedrängt habe,
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