Das Salz der Mörder
vorerst in Ruhe. Sie baut natürlich auf Zeit. Sie kann es sich nicht
leisten ihre einzigen Gefangenen gleich zum Anfang abzuknallen. Das wissen Sie
doch, Herr Hahn.
ARD:
Wollen Sie die Männer opfern?
Dr.
SCHMID-MERTENS: Na, hören Sie mal! Ich bitte Sie. Leider fällt eine
Entscheidung über dieses Ultimatum nicht in meinen Verantwortungsbereich, sonst
wäre das niemals passiert. Wie gesagt, es gibt Verantwortliche, die über mir
stehen. Die müssten Sie befragen, wie es weitergehen soll. Ich habe meinen
Standpunkt mehrere Male öffentlich geäußert und mir dabei herbe Kritik
eingehandelt - übrigens auch von allen im Bundestag vertretenen Parteien.
Derweil die maßgeblich kompetenten Herrschaften versuchen ihre Schuld zu
vertuschen, musste ein völlig unschuldiger Mann des Kieler Innenministeriums,
der mit den Vorgängen in Wusterwalde nur am Rande betraut war, seinen Hut
nehmen. Ich bin nach wie vor der Auffassung: Zahlt dem Wegner das Geld und lasst
die Hansen ausfliegen. So einfach ist das.
Prof.
STÜCKLI: Wenn das passiert, kann Ihre jetzige Bundesregierung sofort abtreten
und die Wahlen vorverlegen. Wir Schweizer Eidgenossen haben da einen kleinen
Trick in unsere Bundesverfassung eingebaut, den wir in manchen Fällen anwenden,
wenn es um des Volkes Interesse geht. Warum ihr Deutschen das nicht
praktiziert, ist mir ein Rätsel. Ihr wollt doch sonst immer so schlau sein.
Prof.
LEISTNER: Wovon reden Sie eigentlich, lieber Herr?
Prof.
STÜCKLI: Ich rede davon, dass sich Ihre Bundesregierung nicht in solchen
Schwierigkeiten befinden würde, wenn sie die Möglichkeit eines Plebiszits,
eines Volksentscheides eingeführt hätte, Herr Professor Leistner. Lassen Sie
Ihr Volk entscheiden, was mit den Gesetzesbrechern passieren soll. Ihr Kanzler
wäre fein raus, weil er dann stolz verkünden könnte: Seht her, liebe Leut, ihr
wolltet es nicht anders. Kein Rücktritt der Amtierenden, keine vorgezogenen
Wahlen.
Prof.
LEISTNER: Wir mögen solche eidgenössischen Spielchen nicht. Das können und
wollen wir unserem mündigen Bürger nicht zumuten. Schließlich hat er in freien
und geheimen Wahlen jene Volksvertreter gewählt, die für derartig diffizile
Aufgaben in der Legislative tätig sind. Wir wissen ja leider aus unserer eigenen
Geschichte sehr genau, wo Volksentscheide hinführen können: zur Euthanasie, zur
Todesstrafe und zum totalen Krieg.
Prof.
STÜCKLI: Und was macht Ihr mündiger Bürger während der vierjährigen Amtsperiode
Ihrer jeweiligen Legislative? In dieser Zeit ist er unmündig, da hat er nicht
den geringsten Einfluss auf die gesetzgebende Gewalt. Er wird erst wieder
mündig, wenn er an die Wahlurne treten darf. Somit ist Ihr deutscher
Bundesbürger alle vier Jahre für einen ganzen Tag lang mündig und vollwertiges
Mitglied Ihrer Volksgemeinschaft. Und das auch noch an einem arbeitsfreien
Sonntag, an dem die Biergärten überfüllt sind. Vier Jahre unmündig minus einen
Tag, der Wahltag. Verbleiben somit eintausendvierhundertneunundfünfzig Tage der
Unmündigkeit. Und wenn sie einmal mündig sein dürfen, dann treten sie auch noch
besoffen aus den Biergärten kommend an die Wahlurne. Also, wenn Sie das
„mündigen Bürger“ nennen, weiß ich nicht . . .
Prof.
LEISTNER: Herr Hahn, ich fordere Sie hiermit in aller Schärfe auf, dass Sie als
Moderator diesen Unsinn sofort abbrechen! Ich bin auf das Äußerste beunruhigt
und stelle entsetzt fest, dass Sie ausländische Gäste zu sich einladen, die
unsere parlamentarisch-repräsentative Demokratie lächerlich machen, die unseren
deutschen Staat verunglimpfen und seine Bürger im höchsten Grade verunsichern.
Dieser Herr mischt sich in unangemessener Art und Weise in die Angelegenheiten
der Bundesrepublik Deutschland ein. Ich verlange, dass dieser Mann umgehend das
Studio verlässt!
ARD:
Meine Herren, meine Herren, so beruhigen Sie . . .
Prof.
STÜCKLI: Na, ich muss doch sehr bitten. Ich wurde in Ihr Land eingeladen, um
meine Meinung zu äußern. Und das ist meine Meinung. Oder hat Herr Professor
Leistner inzwischen das Rede- und Versammlungsverbot wieder eingeführt?
Notabene, das Wort „Plebiszit“ ist von den römischen Plebejern abgeleitet. Die
Österreicher sagen sogar Plebs dazu.
Prof.
LEISTNER: Nun gehen Sie zu weit, das ist zu viel! Ich lasse mich nicht von
einem schlitzohrigen Ausländer und angeblichen Professor der Soziologie in
meinem eignen Vaterland, und dazu noch in aller Öffentlichkeit, belehren und
beleidigen. Ich
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