Das Salz der Mörder
manipulieren. Achtet nicht auf die
äußerliche Belagerung unseres Tempels. Wir sind durch Babas heilige Kraft vor
jeglicher Bedrohung geschützt. Liebe Gemeinde der Auserwählten des Erlösers,
ich bin Babas erste verkörperte Seele, Mutter aller existierenden Kreaturen Gottes
und Retter eurer geschundenen Seelen. Durch meine göttlichen Energieströme
werdet ihr wiedergeboren und in vollkommenem Glück leben. In wenigen Stunden
schweben wir zwischen Himmel und Erde. Baba war uns noch nie so nah wie heute.
Ich will euch zu Ihm führen. Wir werden den Weg in unser Innerstes finden.
Folgt mir in das goldene Land, dort wo die hohen Seelen leben.“
Der
große Festsaal war vollständig abgedunkelt. Es wurde befürchtet, dass man durch
die gläsernen Foyertüren in das Innere des Weißen Hauses blicken und die
Stellungen der weiblichen Scharfschützen ausmachen könnte. Diese lagen, von
Sandsäcken geschützt, an den Eingangstüren und zielten mit ihren
Präzisionsgewehren auf die beiden Geiseln, um auf Befehl einen von beiden zu
verwunden. Nur eine einzige Lampe schien auf die charismatische Rednerin.
Während sie die letzten Sätze sprach, hob sie ehrfürchtig die Arme und ihre
majestätische Stimme hallte noch für einige Zehntelsekunden im überfüllten Saal
wider.
Jubel
und tosender Beifall. Es herrschte Aufbruchstimmung. Alle Stühle waren in die
oberen Etagen verbannt, wo sich auch die 72 Kinder aufhielten, die man
überstürzt aus dem Kindergarten evakuiert hatte. Sechs Dienerinnen betreuten
die ein- bis zehnjährigen Knirpse. Über 500 Schaumgummimatratzen bedeckten den
Parkettboden, um die vor der staatlichen Gewalt geflüchtete Gemeinde
unterzubringen. Das ganze Haus glich einem Heerlager. Aber auf der Bühne stand
sie, Frau Dr. Hansen, und zelebrierte wieder eine ihrer überwältigenden
Andachten.
„Doktor
Johannsen wird nun an jeden von uns ein kleines rotes Dragee austeilen, nur ein
einziges. Sollten dem einen oder anderen bei unserem mühevollen Marsch in das
Goldene Zeitalter die körperlichen Kräfte oder geistigen Energien versagen,
dann geißelt euch nicht unnötig, nehmt die Kapsel und ihr werdet innerhalb von
drei Sekunden eure Qualen schmerzlos hinter euch lassen. Ihr werdet erlöst
sein. Bitte geht bedachtsam mit diesem Elixier um, weil ich möchte, dass wir
gemeinsam unser strahlendes Ziel erreichen, denn ich liebe euch alle, ohne
Ausnahme.“
Nach
dieser kurzen Rede vor ihren Leuten trafen sich die Entscheidungsträger im Büro
der Bürgermeisterin: Frau Dr. phil. Margot S. Hansen, ihre Halbschwester Dr.
Elisabeth Radtke und Frau Dr. Johannsen.
„Margot,
ich weiß nicht, was du vor hast. Ich bin der Meinung, dass wir einen
gravierender Fehler machen, wenn wir hier vergiftete Leichen zurücklassen. Und
vergiss den Brunnen nicht, den werden sie so schnell wie möglich öffnen
wollen.“
„Das
musst du schon mir überlassen. Ich brauche die Alten und Schwachen nicht. Wir
können uns mit denen nicht auch noch belasten. Außerdem weiß ich nicht, ob das
Flugzeug unsere Gemeinde überhaupt aufnehmen kann. Wir fliegen nur mit den
Kindern und den jüngeren Frauen.
Hast
du Anweisung gegeben, den Mann erschießen zu lassen? Die sollen endlich merken,
dass ich es ernst meine. Das ganze Theater spielt seit Tagen vor ausverkauftem
Haus und keiner will bezahlen. Sag diesen erbärmlichen Beamten, ich verhandle
nicht mit Stellvertretern. Ich will einen von der Landesregierung, ich will
mehr Öffentlichkeit, ich will Kamerateams von den überregionalen
Fernsehsendern, und ich will, verdammt noch mal, ich will mehr Respekt! Hörst
du? Sag ihnen folgendes: Ich spreche nicht mehr mit Unterhändlern oder
Assistenten. Und wenn die wollen, dürfen sie für den Typen von Mannesmann einen
Priester einfliegen lassen. Ich werde warten, bis der heilige Mann eingetroffen
ist und unseren Aufsichtsrat erst nach seiner letzten Ölung erschießen. Ich bin
ja kein Unmensch.“
„Du
treibst es zu weit, Margot. Wenn die wollen, verwandeln die innerhalb von
Sekunden unser Weißes Haus in eine Ruine. Die haben Tränengas, Handgranaten und
Panzerfäuste.“
„Lisa,
Lisa, Lisa! Du bist so destruktiv, ich möchte dir am liebsten mit Gewalt eines
unserer roten Dragees verabreichen. Ich kann dieses negative Geschwafel, das du
von dir gibst, einfach nicht mehr ertragen. Leidest du etwa an einer schweren
depressiven Episode mit bipolarer Störung? Wie nannte Freud die Melancholie? Furiose
Schwester der Trauer? Also, was ist
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