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Das Salz der Mörder

Das Salz der Mörder

Titel: Das Salz der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Otto Stock
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Erfolg zu garantieren. Ich fragte mich ständig,
warum wir eigentlich nicht die Steuerbehörde bestochen haben, damit sie die
Anklage zurückzieht? Es war halt ein Versehen. Jeder entschuldigt sich bei
jedem. Dafür war es jetzt allerdings zu spät.
    „Steven
Smiley“, hallte es von Wand zu Wand und durch meinen Kopf. Man führte Steven
Smiley durch dieselbe Hintertür hinein. Mein Herz schlug schneller. Nein, er
wurde nicht geführt, er wurde gestützt, fast getragen. Seit fünf Jahren
benötigte er seine Aluminiumkrücken nicht mehr – und jetzt? Sie schleppten
einen Mann in den Gerichtssaal, den ich nicht kannte. Selbst in Kuwait strahlte
er trotz der erlittenen Folterungen noch eine ungebrochene Kraft aus. Sein
blasses Gesicht wirkte stark eingefallen, die Augen lagen tief in ihren Höhlen
und der Hals schien zu einer einzigen Wüste aus Falten verdorrt zu sein. Es war
unglaublich: Sie stellten ihn barfuß vor den Richter. Um seine Lenden hatte die
ihm ein uraltes Badehandtuch gebunden. Ich kannte dieses Bild und hatte es
hunderttausendmal in hunderttausend verschiedenen Varianten gesehen: Das Leiden
Christi. Wieder standen mir die Augen voller Tränen. Ich versuchte ein lautes
Aufschreien zu unterdrücken. Es fiel mir schwer die Beherrschung zu behalten.
David presste mir abermals seinen Arm um die Schultern. Einer der Polizisten
brachte Steven einen Stuhl. Als er saß, begann die Verhandlung. Das gleiche
Schauspiel wie zuvor: der Richter blätterte gelangweilt in seinen Akten, der
Staatsanwalt verlas die Anklage. Doch diesmal geschah etwas Ungewöhnliches. Der
Staatsanwalt kramte einen anderen Hefter hervor. Er winkte dem Gerichtsdiener,
der das Aktenbündel entgegennahm und mit beiden Händen weihevoll an den Richter
weiter reichte. Dieser knallte die Mappe geräuschvoll auf seinen Tisch. Nun
setzte er sogar eine Brille zum Lesen auf, und nochmals verfiel der Saal in
tiefes Schweigen. Dieser Zustand dauert mindestens zehn Minuten. Flüsternd
fragte ich David, was das zu bedeuten habe. Er zuckte mit den Achseln und
schüttelte den Kopf.
    Endlich
setzte der Herr über Recht und Gesetz seine Brille wieder ab, hob den Kopf und
sprach mit tiefer, grollender Stimme zu den Anwesenden im Saal, als würde er
ein Referat halten: „Dieser britische Staatsbürger . . .“
    „Ich
bin Engländer!“ schrie Steven laut, drehte seinen Kopf herum und grinste ins
Publikum.
    „Halten
Sie den Mund. Sie sind erst dran, wenn Sie gefragt werden!“ schrie der Richter
zurück. „Dieser britische Staatsbürger, der seit nunmehr sechs Jahren Gast in
unserem Land ist, hat sich der schweren Steuerhinterziehung zum Nachteil des
ghanaischen Volkes und des verbrecherischen Diebstahls von ghanaischem
Staatseigentum schuldig gemacht.“ Ich traute meinen Ohren nicht. Ich sah
fassungslos zu David, der mich ebenso ratlos anblickte. Welches Staatseigentum
soll Steven denn gestohlen haben?
    „Weiterhin
betrieb der Angeklagte illegal ein Bordell. Gewerbliche Unzucht, Prostitution
und Zuhälterei ist in unserem Land gesetzwidrig. Wir werden uns die
Errungenschaften der Revolution von 1979 niemals von dekadenten Ausländern und
ehemaligen Kolonialisten zunichte machen lassen. Aufgrund der neuen Fakten und
der erweiterten Beweislage hat der Anwalt des Angeklagten sein Mandat
niedergelegt. Mir ist die Anklageerweiterung des Prostecutors eben erst
übergeben geworden. Ich werde daher die Verhandlung bis auf Weiteres vertagen.
Dem Angeklagten wird somit die Möglichkeit gegeben, sich einen anderen Anwalt
zu suchen.“
    Das
war’s. Stevens Bewacher brachten ihn heraus. Ich begriff gar nichts mehr. Dass
mit unserem Gold House Love Centre und den Nutten, verstand ich ja noch,
wenngleich sich die gesamte Obuasi Police Station fast täglich und immer
kostenlos über unsere Mädels hermachte, aber von welchem Staatseigentum
sprachen die da? David stand auf und gab mir, wie abgesprochen, die Schlüssel
für seinen Diplomatenwagen.
    „Du
weißt, was du zu tun hast“, sagte er beim Verlassen der überhitzten Baracke.
„Du hast doch hoffentlich deinen Reisepass nicht vergessen?“
    „Nein,
nein!“
    „Also,
Freddy, bleibe in einiger Entfernung hinter mir und verliere mich nicht aus den
Augen. Es bleibt alles wie abgesprochen. Los, hol jetzt den Wagen. Ich werde
inzwischen versuchen an Steven heranzukommen.“
    Ich
rannte so schnell wie möglich zum Auto. Ja, ich flog förmlich. Wie zu erwarten,
waren Accras Straßen zu dieser Uhrzeit, es war kurz

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