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Das Salz der Mörder

Das Salz der Mörder

Titel: Das Salz der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Otto Stock
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Tiefen der Sinnlosigkeit. Am unerträglichsten aber empfand ich
die Vorstellung, dass ein Entkommen aus dem Gefängnis dieser Hansen
aussichtslos erschien. Ich fühlte mich meines Lebens nicht mehr sicher. Dennoch
verspürte ich seit der letzten Nacht von irgendwoher eine gewisse Energie auf
mich einwirken, die mir meine Ruhe und Ausgeglichenheit wiedergab und mich
sanft und friedvoll einschlafen ließ. Das war für mich das Merkwürdigste nach
all dem Geschehenen.
    9.
Oktober, sieben Uhr dreißig morgens - viel zu früh, um meinen Geburtstag zu
feiern. Mit wem auch. Ich wusste, Vroni würde heute an mich denken. Was sieben
Jahre zuvor an diesem Tag geschah, weiß ich nicht. Damals gab es keine Zeit.
Die Zeit stand still. Bleierne Zeit, ohne Zeitgefühl. Vermutlich hatte mich jener
bärtige Iraker an meinem Ehrentag auf den sonnigen Hof getrieben und fuchtelte
mit seiner Magnum 357 herum, in der drei Patronen steckten. Es machte dreimal
„Klick“, und ich überlebte dreimal. Im Nachhinein fällt es mir schwer zu
glauben, dass ich diesen ganzen Psychoterror einigermaßen glimpflich
überstanden hatte. Soviel Glück kann es einfach nicht geben. Ich nehme an, dass
die Patronen in dem Revolver eben solche Attrappen waren wie dieser Brunnen da
unten.
    Vor
mir lag der tote Barmann aus dem Hotel Al Kuwayt, sein Schädel durchlöchert von
zwei Neun-Millimeter-Geschossen. Ich kannte noch nicht einmal seinen Namen. Die
Erinnerung daran überfiel mich wie die Armee lästiger Ameisen, die sein Gehirn
auffraßen.
    Gedankenversunken
presste ich meine Stirn an die nackte Fensterscheibe. Das tat mir gut. Mein
Blick starrte ins Endlose. Plötzlich schreckte ich auf. Ich nahm verschwommen
Bewegungen wahr, dann traute ich meinen Augen nicht mehr: Auf der Brunnenallee
rannte, von links kommend, ein Mann im Jogginganzug, im Joggingtempo völlig
unbehelligt durch das Dorf. Ein Mann! Und niemand stoppte diesen Kerl. Ist das
ein Zeichen? Hattest Du, o Herr, mich in der letzten Nacht erhört? Das war ein
Zeichen. Das war Dein Zeichen - ich weiß es! Ich trommelte mit den Fäusten
gegen die Scheibe. Ich schlug und schlug, doch der Mann dort unten hörte mich
nicht. Sowie er kam, verschwand er auch wieder, verschwand unter den mehr oder
minder kahlen Bäumen der Brunnenallee. Stürmisch wurde das bräunliche
Herbstlaub durch einen leichten Windstoß hinter den unbekannten Läufer her
gewirbelt.
    Maria
berichtete mir später, was währenddessen unter mir im Büro der Bürgermeisterin
geschah. Und zwar folgendes: „Posten Drei! Posten Vier! Kann mir jemand
begreiflich machen, woher dieser Mann kommt, der vollkommen ungeniert an meinem
Weißen Haus vorbei läuft? Kann man mir das vielleicht erklären?“ Frau Dr.
Hansen schrie unverhältnismäßig laut und unbeherrscht in ihr Sprechfunkgerät,
so dass die Posten Drei und Vier ein übersteuertes Signal empfingen.
    „Zentrale!
Zentrale! Hier Posten Drei. Befehl nicht verstanden. Posten Drei bittet um
Wiederholung der Meldung.“
    „Zentrale!
Zentrale! Hier Posten Vier. Befinden uns direkt an der Rückseite des Weißen
Hauses. Keine besonderen Vorkommnisse.“
    „An
alle! An alle! Alarm! Ab sofort - Stufe Eins!“ Die Hansen war außer sich.
Unerklärlich, wie ein ungebetener Gast durch ihr ausgeklügeltes
Sicherheitssystem schlüpfen konnte. Allerdings beruhigte sie sich bald, weil
sie wusste: War erst jemand in ihrem Netz gefangen, gab es kein Entkommen mehr.
    „Schick
sofort die Maria zu dem Wegner. Der muss sie jetzt befruchten“, befahl sie
einer der zwei Dienerinnen, die ständig um sie waren, „und sag ihr, dass ich
mir den Geschlechtsakt über Videokamera ansehen und aufzeichnen werde. Sie soll
sich also Mühe geben. Ist ja schließlich ihr erstes Mal.“
     
    Der beste Geruch
ist der vom Brot, der beste Geschmack ist der vom Salz, und die beste Liebe ist
die von Kindern. (Graham Greene)

45. Erinnerungen in der Badewanne
     
    Ich
ging ins Nebenzimmer, steckte den Gummistöpsel in den Abfluss, spritzte ein
bisschen von dem Schaumzeugs in die Badewanne und drehte den Wasserhahn auf.
Hartnäckig klebten meine Sachen an mir, die ich letzte Nacht bei der
Hinrichtung trug. Ohne mich ausgezogen zu haben, war ich eingeschlafen.
    Ich
fühlte mich unrein und verschwitzt. Meine dicke Strickjacke, das karierte
Wollhemd, die Hose, die Unterwäsche, die Socken, sogar die Schuhe, alles stank
nach Verwesung. Ich bildete mir ein, meine Zunge wäre mit einer Salzkruste
belegt. Angeekelt von mir

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