Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)
sprach. Seine Stimme war wieder fester, er schien sich von den Strapazen und Entbehrungen ein wenig erholt zu haben. „Warum trug TM diese scheußliche Maske?“
Igor schrak aus seinen Gedanken auf. Er war froh, daß Sander sich zu Wort meldete. „Niemand weiß das genau. Es ging unter den Gefangenen das Gerücht um, daß sein Gesicht bei einem Laborunfall verunstaltet wurde.“
Sander richtete sich ein wenig auf, um sich Igor zuwenden zu können. „Das stimmt nicht! Ich habe sein Gesicht gesehen, es ist unversehrt! Das einzig Auffällige waren seine Augen, diese scheußlichen bernsteingelben Augen. So etwas ist mir noch nie begegnet.“
Igor dachte einen Moment nach. „Die Augenfarbe kann man mit Haftschalen manipulieren. Deshalb muß man nicht ständig eine solche Maske tragen! Mit seiner rechten Hand war das anders. Da fehlte ihm der Mittelfinger. Ich weiß das von unserem Arzt.“
Sander schien erstaunt: „Von unserem Arzt?“
„Ja, natürlich! Wir hatten im Berg bis vor kurzem einen Arzt. Er war Italiener, ebenfalls Gefangener. Wie ich schon sagte – TM hat ihn umbringen lassen, nachdem er an den Augen behandelt wurde und der Arzt ihn ohne Maske zu Gesicht bekommen hatte. Jedenfalls schwamm der arme Teufel einige Zeit später in einem der Salpetersäurebecken. War kein erfreulicher Anblick.“
Eine Weile schwiegen sie, bis Sander erneut das Wort ergriff: „Wozu brauchtet ihr Salpetersäure?“
Igor überlegte einen Moment, wie er die Antwort formulieren könne, ohne einen umfassenden technisch-wissenschaftlichen Diskurs riskieren zu müssen. „Hab‘ ich das nicht erklärt? In hochkonzentrierter Salpetersäure wurden radioaktive Feststoffe – abgebrannte Brennelemente oder nukleare Explosivstoffe – gelöst. Die wäßrige Lösung wurde mit Lauge versetzt und eingedampft. Der Rückstand wurde zylindrisch eingeformt und bildet den Kern Schmutziger Bomben. Die übliche Extraktion des Urans oder Plutoniums unterblieb, da einerseits hierzu die technischen Voraussetzungen fehlten, andererseits ein Maximum an umweltbelastender Radioaktivität ja bewußt angestrebt wird.“ Der Russe sprach konzentriert, jede Passage seiner Erklärung sorgfältig abwägend und darauf bedacht, möglichst keine weiteren Fragen zu dieser Thematik auszulösen. Er war derartige Diskurse unter Wissenschaftlern und Ingenieuren gewohnt und wußte nur zu genau, daß dies schnell zu einem nachtfüllenden Unterfangen ausarten konnte. Hierzu fühlte er sich zu erschöpft.
Sander trank nun vorsichtig in kleinen Schlucken. Er schien einigermaßen erholt und hochkonzentriert. „Wie sollen solch strahlende Alpträume zum Einsatz gebracht werden, ohne die eigenen Leute zu gefährden oder bei Kontrollen aufzufallen?“
Der Russe war auf diese Frage vorbereitet. „Man konzentrierte sich in dieser Phase auf Plutonium, dessen Strahlung nur im Falle des Inkorporierens, beispielsweise infolge Inhalierens belasteter Stäube, lebensbedrohlich ist. Der Transport erfolgt in wasserlöslichen Containern. Sie bestehen aus Natriumchlorid, banalem Kochsalz, und sind so dimensioniert, daß sie exakt in die stählernen Transportbehälter passen, jene zylindrischen Behälter, die in Nowokusnezk aus dem Zwischenlager entwendet wurden. Am Zielort wird der Salzblock aus dem Transportbehälter gezogen und in einem Gewässer – das könnte ein See, ein Feuerlöschteich, aber auch ein Wasserturm sein – ausgesetzt. Das Wasser wird das Kochsalz langsam auflösen und schließlich das radioaktive Kernmaterial freisetzen. Von diesem Moment an ist die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten.“
Sander war sichtlich aufgebracht. „Das ist doch absoluter Wahnsinn! Da strahlt doch in kurzer Zeit der ganze Container! Die Leute, die den Transport begleiten und den Salzblock aussetzen, riskieren doch, extremer Strahlenbelastung ausgesetzt zu werden. Wer will schon freiwillig auf diese Weise zugrunde gehen?“
Igor legte ihm beschwichtigend die Rechte auf den Unterarm. „Du solltest dich nicht aufregen, es schwächt dich! Zu deiner Frage: Soweit im Vergleich zum waffenfähigen Plutonium die wesentlich kritischeren Kernbrennstoffe die Basis Schmutziger Bomben bilden, hast du sicherlich recht. Auch solche wurden hergestellt. Aber vergiß nicht, es sind Märtyrer, die diesen Teil der Apokalypse übernehmen! Die sterben nicht durch Siechtum, die suchen den großen Abgang, nachdem sie ihre tödliche Fracht ausgesetzt haben! Die jagen sich anschließend in die Luft! Das
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