Das Scarlatti-Erbe - Ludlum, R: Scarlatti-Erbe
richtig zu orientieren. Die kleinen Bäume waren in Wirklichkeit die hohen Kiefern über ihm gewesen.
Er wollte gerade ins Feld zurückkriechen, als er etwa fünf Meter zu seiner Linken ein Maschinengewehr mit einem deutschen Soldaten sah, der seine Waffe gegen einen Baumstamm gestützt hatte. Er zog die Pistole und hielt sich ganz ruhig. Entweder hatte der Deutsche ihn nicht gesehen, oder er war tot. Die Waffe war direkt auf ihn gerichtet.
Dann bewegte sich der Deutsche. Nur ganz wenig, mit dem rechten Arm. Er versuchte, seine Waffe zu erreichen, war aber zu geschwächt, um es zu schaffen.
Scarlett warf sich nach vorn und fiel auf den verwundeten Soldaten, wobei er sich bemühte, so wenig Lärm wie möglich zu machen. Er konnte nicht zulassen, daß der Deutsche schoß oder Alarm schlug. Mühsam zerrte er den Mann von dem Maschinengewehr weg und drückte ihn zu Boden. Da er seine Pistole nicht abfeuern und damit die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich lenken wollte, begann er den Mann zu würgen. Als er Scarletts Finger an seinem Hals verspürte, versuchte der Deutsche zu sprechen.
»Amerikaner! Amerikaner! Ich ergebe mich!« Er hob verzweifelt die Hände und gestikulierte nach hinten.
Scarlett lockerte seinen Griff. Er flüsterte: »Was? Was wollen Sie?«
Er ließ zu, daß der Deutsche sich ein wenig aufrichtete. Man hatte den Mann zum Sterben zurückgelassen mit dem Auftrag, etwaige Verfolger aufzuhalten, während der Rest der Kompanie entkam.
Scarlett stieß das Maschinengewehr weg, damit der Verwundete es nicht mehr erreichen konnte, und kroch ein paar Meter in das Wäldchen hinein, wobei er sich immer wieder umsah. Ringsum waren Spuren einer Evakuierung zu sehen, Gasmasken, leere Tornister, sogar Patronengurte – alles, was schwer zu tragen war.
Sie waren alle entkommen.
Er richtete sich auf und ging zu dem deutschen Soldaten zurück. Nun begann Ulster Scarlett einiges klarzuwerden.
»Amerikaner! Der Krieg ist doch fast vorbei! Lassen Sie mich doch nach Hause gehen!«
Leutnant Scarlett hatte seine Entscheidung getroffen. Die Situation war perfekt. Mehr als perfekt – außergewöhnlich!
Der Rest des Vierzehnten Bataillons würde eine Stunde, vielleicht sogar noch länger brauchen, um diesen Punkt zu erreichen. Hauptmann Jenkins von der B-Kompanie war so fest entschlossen, ein Held zu sein, daß er sie wie der Teufel gehetzt hatte. Vorrücken! Vorrücken! Vorrücken!
Aber das war Scarletts Ausweg. Vielleicht würden sie ihn eine Rangstufe überspringen lassen und ihn zum Hauptmann befördern. Warum nicht? Er würde ein Held sein.
Nur daß er nicht da sein würde.
Scarlett zog seine Pistole und schoß dem Deutschen durch die Stirn, während dieser einen Schrei ausstieß. Dann sprang er auf das Maschinengewehr zu und begann zu feuern.
Zuerst nach hinten, dann nach rechts und links.
Das Knattern der Maschinengewehrsalve hallte durch das Wäldchen. Die Kugeln, die sich in die Baumstämme bohrten, gaben klatschende, endgültig wirkende Geräusche von sich. Der Lärm war überwältigend.
Und dann richtete Scarlett die Waffe in die Richtung, wo sich seine eigenen Leute befanden. Er drückte den Abzug nieder und hielt ihn fest, schwang die Waffe von einer Flanke zur anderen. Eine Heidenangst würde er denen einjagen, vielleicht ein paar töten.
Wem machte das schon etwas aus? Bei ihm lag die Macht über Leben und Tod.
Das genoß er.
Er hatte ein Recht darauf.
Er lachte.
Er löste den Finger vom Abzug und richtete sich auf.
Er konnte die Erdhaufen ein paar hundert Meter weiter im Westen sehen. Bald würde er über alle Berge sein.
Plötzlich hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Er zog wieder seine Pistole und kauerte sich auf den Boden.
Schnapp!
Ein Zweig, ein Ästchen, ein zerdrückter Erdklumpen...
Er kroch vorsichtig, auf den Knien, in das Wäldchen.
Nichts.
Dann ließ er zu, daß seine Phantasie die Oberhand über die Vernunft errang. Das Geräusch war von einem Ast verursacht worden, den eine Maschinengewehrkugel abgerissen hatte. Ein Ast, der zu Boden gefallen war...
Nichts.
Scarlett zog sich, immer noch unsicher, an den Waldrand zurück. Schnell hob er die Überreste des Helms auf, den der tote Deutsche getragen hatte, und schlug die Richtung zu dem Feld ein, wo die Kompanie B in Stellung gegangen war.
Ulster Stewart wußte nicht, daß er tatsächlich beobachtet wurde. Sehr aufmerksam sogar – und in ungläubigem Staunen.
Ein deutscher Offizier, dem langsam das Blut auf
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