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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Geruch war geblieben. Der Regen
prasselte in das Innere des Wagens und tropfte auf die
Lederpolster. Rasch schloss Arved die Fenster wieder. Sein Herz
raste.
    Er legte den Rückwärtsgang ein und gab Gas. Die
Hinterräder drehten auf dem schlüpfrigen Untergrund
durch. Er versuchte nach vorn zu fahren. Der Wagen bewegte sich
nur leicht vor. Nun wieder den Rückwärtsgang eingelegt;
es ging ein paar Meter nach hinten. Erneut nach vorn, nach
hinten, Schaukelbewegungen.
    Neben dem Wagen regte sich etwas. Da war die Gestalt wieder.
Sie legte beide Hände gegen das Glas. Hautfetzen hingen von
den Knochen, wurden vom Regen weiter gelöst, fielen ab.
Arved sperrte den Mund auf, aber kein Laut drang aus seiner
Kehle. Er war vor Entsetzen wie gelähmt. Ein Blitz schien
bis in seinen Wagen zu dringen und blendete ihn; er glaubte sogar
das Knistern und Zischen zu hören. Angespannt wartete er auf
den Donner, aber er kam nicht. Die Gestalt neben dem Wagen
hingegen brannte lichterloh. Aber es war kein irdisches Feuer. Es
war still und gleichmäßig, und die Gestalt löste
sich in ihm nicht auf, sondern wurde kleiner. Sie schrumpfte, bis
sie durch die Seitenscheibe nicht mehr zu sehen war. Als sie aus
Arveds Blickfeld verschwunden war, fiel die Erstarrung von ihm
ab.
    Er gab wieder Gas, schaukelte den Wagen noch einmal vor und
zurück und bekam ihn schließlich frei. Er schoss aus
der kleinen Straße auf die größere, hätte
dabei fast einen dunklen Rover gerammt, der ihn wütend
anhupte, und raste bergan in Richtung Autobahn. Erst als Arved
sich auf ihr befand, atmete er auf. Das Gewitter zog ab, und es
wurde heller. Der Regen ließ nach, hinter Wittlich kam
sogar die Sonne hervor.
    Arved warf einen raschen Seitenblick auf das Buch, das immer
noch auf dem Beifahrersitz lag. Ein paar Regentropfen
glänzten auf dem Ledereinband, doch nichts deutete darauf
hin, dass vor kurzem jemand dort gesessen hatte. Natürlich,
es war nur eine Halluzination gewesen. Was sollte es sonst sein?
Etwa ein Gespenst? Lächerlich. An so etwas glaubte man schon
seit Jahrhunderten nicht mehr. Nein, es war sicherlich irgendein
Bild aus Arveds Erinnerungen gewesen, das sich verbotenerweise
selbstständig gemacht hatte. Er versuchte über sich zu
lächeln.
    Die Suche nach der Riverisstraße, in der Manfred Schult
wohnte, verdrängte alle Gespenster. Arved hatte sich die
Strecke nicht gemerkt, als er mit Lioba dorthin gefahren war,
aber nach einigen Irrwegen hatte er schließlich die
schreckliche Siedlung gefunden, in der angeblich Thomas Carnacki
gelebt hatte.
    Manfred Schult empfing ihn mit einer widerlichen Bierfahne. Am
liebsten hätte sich Arved vor der Wohnungstür sofort
umgedreht und wäre gegangen, doch Schult packte ihn am Arm
und zerrte ihn in die stinkende Wohnung.
    »Schön, dass Sie gekommen sind. Ich sehe, Sie haben
das Buch dieses komischen Autors dabei. Wollen Sie etwa, dass ich
es lese und Ihnen bei der Suche helfe?« Schult lachte
meckernd. »Lieber würde ich mir die rechte Hand
abhacken lassen, als etwas zu unternehmen, an dem Lioba beteiligt
ist.«
    Arved wusste nicht, was er darauf erwidern sollte, also
schwieg er. Der Biergeruch erfüllte die ganze Wohnung und
stieg auch aus dem Sofa auf, in dessen Polster Schult ihn
drückte. Erst jetzt ließ er Arved los und schaute auf
ihn nieder.
    »Sie sind ein armseliges Würstchen. Lioba ist tief
gefallen«, sagte Schult und grinste höhnisch.
»Warum sucht sie nach diesem Autor?«
    »Nicht sie, sondern ich suche danach«, verteidigte
sich Arved. »Ich will einfach wissen, wer er war oder ist,
denn sein Werk ist außergewöhnlich, und es gibt
nirgendwo Informationen über ihn.«
    »Sie haben wohl zu viel Zeit.« Schult hob eine
Augenbraue. »Ich übrigens auch –
inzwischen.« Er warf einen fragenden Blick auf den Band in
Arveds Händen. »Geben Sie mal her.«
    Arved reichte ihm das Buch. Es wunderte ihn, dass Manfred
Schult zu lesen begann. Es schien ihn zu interessieren, ja sogar
zu faszinieren, denn er setzte sich auf einen Sessel, ohne vorher
die schmutzige Wäsche zu entfernen, und vertiefte sich in
die Lektüre. Schon nach einer Minute schien er Arved
vergessen zu haben.
    Arved schaute sich verstohlen um. Wie konnte ein Mensch in
einer solchen Müllkippe wohnen und sich offensichtlich recht
wohl fühlen? Wer war dieser Manfred Schult und was war
damals zwischen ihm und Lioba vorgefallen? Arved fragte sich, ob
er es

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