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Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Titel: Das Schatzbuch der Köchin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martine Bailey
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schien plötzlich alles verdorben. Sogar das wunderschöne Stabwerk und die Türme verloren ihren Zauber.
    Widerstrebend folgte ich ein paar Wildhütern, die den Kadaver in unsere kühle Speisekammer schleppten. Aber entweder die Jagd oder der Alkohol hatte sie in leichtsinnige Stimmung versetzt.
    «Du kommst schon klar, Biddy Leigh», meinte der oberste Wildhüter. «Wir sind heute hart geritten, und das, bevor du überhaupt aufgestanden bist. Also kannst du zur Abwechslung mal das Tier ausnehmen. Seine Lordschaft wartet aufs Frühstück, vergiss das nicht.» Und schon waren sie verschwunden und überließen die Arbeit mir.
    Ich schaute die arme Kreatur an, die an einem Haken von der Decke baumelte. Ihr Kopf hing schlaff herunter, die glasigen Augen starrten ins Leere. Die Wunden waren noch rot und klebrig. Ich lernte gern und war bereit, es mal zu versuchen, obwohl ich erst ein Mal bei dieser blutigen Angelegenheit zugeschaut hatte. Als ich mich daranmachte, das Tier auszunehmen, roch das noch warme Fell nach Angst und halb verdautem Gras. Es dauerte eine Weile, bis ich entschied, wo ich den ersten Schnitt ansetzen wollte. Dann zerrte ich mit wenigen Bewegungen den Brustkorb auf wie zwei grausige Türen, die sich vom Hals bis zum Schwanz öffneten. Die stinkenden Eingeweide fielen just dampfend zu Boden, als mein Blick an etwas hängenblieb. Einem merkwürdigen, kleinen Ding.
    Zuerst dachte ich, es sei ein verdrehtes Stück Darm oder die gerissene Milz. Dann schaute ich genauer hin und entdeckte ein kleines Gesicht mit einer langen Schnauze. Was ich da erblickte, ließ mich fast in Ohnmacht fallen. Ein perfektes, winziges Kitz lag eingerollt in der Fruchtblase im Bauch seiner Mutter. Ich griff danach und zog es aus den Eingeweiden, und plötzlich trat es mit seinen winzig kleinen, gespaltenen Hufen nach mir. Himmel, schrie ich laut! Bis in den Hof gellte mein Entsetzen, bis die Stallburschen kamen und sich der Sache annahmen. Ich wusste, dass es nicht lebensfähig war, das arme Baby. Es war ganz glitschig und weich, und die Nabelschnur, die es bis jetzt mit seiner Mutter verbunden hatte, war wie eine blutrote Kordel. Aber noch lange, nachdem ich dem Herrn seine in Butter geschwenkte Leber hinaufschickte, weinte ich um das blinde, wächserne Wesen, das ein letztes Mal gezuckt hatte und dann gnädigerweise auf dem Boden der Speisekammer erstarrt war.
    Seit jenem Tag habe ich das Schlachten immer denen überlassen, die das im Gegensatz zu mir aushielten.
     
    Von den letzten, dunklen Wochen in Mawton sind mir nur zwei Erinnerungen geblieben. Die eine an meine liebe Mrs. Garland. Es stand nicht zum Besten mit unserer Freundschaft, und dann rief sie mich doch zwei Tage vor meiner Abreise zu sich in die Destille. Ich lief in der Dunkelheit eines Winternachmittags durch das Gestrüpp und griff mir unterwegs einen Stecken, um die stacheligen Brombeeren aus dem Weg zu schlagen. Alles um mich herum starb. Das goldene Jahr, meine Hochzeitspläne, alles, was mir einst vertraut gewesen war. Ich verspürte den mächtig starken Wunsch, jemandem ordentlich eins mit der Faust zu verpassen.
    Dann saß meine alte Köchin am Feuer, wie an jenem Abend, als wir uns an dem Veilchenkonfekt versucht hatten. Und sie sagte zu mir: «Biddy, ich kann dich nicht gehen lassen, ohne vorher meinen Frieden mit dir zu schließen.»
    Einen Moment lang hörte ich nur das Knacken des Feuers. Dann entrang sich mir ein Wimmern, und wir hielten einander an den Händen. Tränen rannen über meine Wangen, und rasch wischte ich sie fort.
    «Ich kann mir nicht vergeben. Du hast mich besser behandelt, als es meine eigene Mutter tat. Und jetzt lasse ich dich ganz allein hier zurück.»
    Sie schüttelte den Kopf und seufzte. «So Gott will, schaffen Teg und ich es auch ohne dich bis zu deiner Rückkehr.»
    Dann setzte sie sich kerzengerade auf und gab mir einen sauberen Lappen, damit ich mein Gesicht abwischte. Und sie sagte einige Dinge, die ich nie vergessen sollte.
    «Hör mir jetzt gut zu, Biddy. Und wenn du nur einmal zuhörst, ist jetzt der rechte Moment. Ich habe lange darüber nachgedacht, und mir scheint, für dich gibt es zukünftig nur zwei Möglichkeiten.» Ihre Augen schimmerten so jung und munter wie die eines Mädchens, während sie mich anschaute. «Du kannst das alles als eine Prüfung auffassen, der du dich unterziehen musst, und das ganze Jahr unterwegs deshalb jammern.» Ich hob bei diesen Worten ruckartig den Kopf, doch sie ließ mich nicht

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