Das Schicksal in Person
Graben. Ich musste sie in der Leichenhalle identifizieren. Es war furchtbar. Sie war auf so grausame Weise entstellt worden. Warum hatte er das getan? War es nicht schon genug, dass er sie erwürgt hatte? Mit ihrem eigenen Schal! Ich kann – ich kann nicht weiter darüber sprechen. Es ist unerträglich.«
Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
»Es tut mir so Leid für Sie«, sagte Miss Marple. »Es tut mir schrecklich Leid.«
»Danke«, sagte Clotilde und schaute sie an. »Und doch wissen Sie das Schlimmste noch nicht.«
»Was meinen Sie?«
»Ich weiß nicht – es ist wegen Anthea.«
»Was ist mit ihr?«
»Sie benahm sich so merkwürdig. Sie war sehr eifersüchtig. Ich hatte den Eindruck, dass sie Verity nicht mehr mochte. In ihrem Blick lag auf einmal Hass, wenn sie Verity ansah. Manchmal dachte ich – ich dachte… nein, es ist zu schrecklich, von der eigenen Schwester so etwas zu denken. Das darf man nicht, aber sie hat einmal jemand tätlich angegriffen. Sie bekam öfters diese Wutausbrüche. Und dann dachte ich, ob sie… Aber man darf so etwas nicht sagen. Nein, sicher ist es nicht so gewesen. Bitte vergessen Sie, was ich sagte. Es stimmt selbstverständlich nicht. Aber sie ist nicht ganz normal. Damit muss ich mich abfinden. Als sie klein war, ist öfters etwas passiert – mit Tieren. Wir hatten einen Papagei. Und der hat dummes Zeug geredet, wie Papageien es eben tun. Dem hat sie den Hals umgedreht. Und seitdem kann ich ihr nicht mehr trauen, ich fühle mich nicht mehr sicher. Niemals habe ich… Mein Gott, jetzt werde ich auch schon hysterisch.«
»Beruhigen Sie sich!«, sagte Miss Marple. »Denken Sie nicht mehr an diese Dinge.«
»Es ist schlimm genug, zu wissen – zu wissen, dass Verity starb. Auf diese schreckliche Weise starb. Aber wenigstens sind jetzt andere Mädchen vor diesem Jungen sicher. Er bekam Lebenslänglich. Er ist immer noch im Gefängnis. Man lässt ihn nicht frei, damit nicht wieder etwas passiert. Ich verstehe nur nicht, warum man ihm nicht verminderte Zurechnungsfähigkeit zugestand, wie es heute häufig geschieht. Man hätte ihn nach Broadmoor schicken sollen. Ich glaube, er war für seine Taten gar nicht verantwortlich.«
Sie stand auf und lief aus dem Zimmer. Mrs Glynne war zurückgekommen und stieß unter der Tür mit ihr zusammen.
»Sie müssen Clotilde nicht beachten«, sagte sie. »Sie hat dieses schreckliche Erlebnis nie überwunden. Sie liebte Verity sehr.«
»Sie scheint sich Sorgen um Ihre andere Schwester zu machen.«»Um Anthea? Anthea ist ganz in Ordnung. Natürlich, sie ist etwas zerstreut und auch ein bisschen hysterisch. Sie ist leicht erregbar und hat eine merkwürdige Phantasie. Aber Sorgen braucht sich Clotilde um sie nicht zu machen. – Nanu, wer ist denn da am Fenster?« Plötzlich tauchten zwei Gestalten in der Verandatür auf. Es waren Miss Cooke und Miss Barrow.
»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte Miss Barrow. »Wir sind ums Haus herumgegangen, auf der Suche nach Miss Marple. Wir hatten gehört, dass sie bei Ihnen ist, und wir dachten – ach, da sind Sie ja, liebe Miss Marple! Wir wollten Ihnen nur erzählen, dass wir die Kirche doch nicht besichtigt haben. Sie war geschlossen, heute wird dort geputzt, und deshalb haben wir unseren Ausflug auf morgen verschoben. Hoffentlich stört es Sie nicht, dass wir hier einfach so eindringen. Wir haben an der Haustür geläutet, aber die Klingel scheint nicht zu funktionieren.«
»Ja, leider passiert das manchmal«, sagte Mrs Glynne. »Sie macht das je nach Laune – mal läutet sie, mal nicht. Aber bitte, kommen Sie doch herein und nehmen Sie Platz. Ich wusste nicht, dass Sie nicht mitgefahren sind.«
»Wir dachten, es wäre genauso schön, hier zu bleiben und die Gegend anzusehen. Nach allem, was passiert ist, waren wir nicht in der Stimmung, die Reise fortzusetzen.«
»Sie müssen einen Sherry mit uns trinken«, sagte Mrs Glynne. Sie verließ den Raum und kehrte kurz darauf mit Anthea wieder zurück, die sich offensichtlich beruhigt hatte. Sie trug Gläser und eine Karaffe mit Sherry.
»Ich möchte wirklich wissen«, meinte Mrs Glynne, »was an dieser ganzen Geschichte dran ist. Ich meine die Sache mit Miss Temple. Man weiß auch gar nicht, was die Polizei beabsichtigt. Sie scheint mit den bisherigen Ergebnissen nicht zufrieden zu sein, sonst wäre die Untersuchung nicht vertagt worden. Wer weiß, ob nicht etwas ganz anderes hinter diesem Unfall steckt.«
»Nun, der Schlag auf
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