Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)
Schluss gekommen«, sagte er, »weil ich ein sehr gutes Verhältnis zu Anne hatte, dass die meisten Eltern ihre Kinder eigentlich gar nicht kennen.«
Ich merkte, dass meine Augen zu waren, und öffnete sie. Augustus sah mich an, seine blauen Augen, näher als sie je gewesen waren, und hinter ihm hatten die Besucher eine Art dreireihigen Halbkreis um uns gebildet. Sie waren sauer, dachte ich. Entrüstet. Diese Teenager mit ihren Hormonen, die vor einem Video bei der gebrochenen Stimme eines verwaisten Vaters rumknutschten.
Ich wich zurück, und Augustus gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, während ich auf meine Converse-Turnschuhe starrte. Und dann fingen sie zu klatschen an. All die Leute, all die Erwachsenen, applaudierten einfach, und einer rief »Bravo!« mit südeuropäischem Akzent. Augustus lächelte und verbeugte sich. Lachend machte ich einen kleinen Knicks, der mir eine weitere Welle Applaus einbrachte.
Schließlich machten wir uns auf den Weg nach unten, ließen alle Erwachsenen vor, und kurz bevor wir das Café erreichten (wo uns glücklicherweise ein Fahrstuhl zurück zum Erdgeschoss und Museumsshop brachte), sahen wir Seiten aus Annes Tagebuch und auch ihre unveröffentlichte Zitatensammlung. Zufälligerweise war sie auf einer Seite mit Shakespeare-Zitaten aufgeschlagen. »Wer ist so fest, den nichts verführen kann«, hatte sie geschrieben.
Lidewij fuhr uns zum Filosoof zurück. Draußen nieselte es, und Augustus und ich standen auf dem gepflasterten Bürgersteig und wurden langsam nass.
Augustus: Wahrscheinlich musst du dich ausruhen.
Ich: Schon okay.
Augustus: Okay. [Pause] Woran denkst du?
Ich: An dich.
Augustus: Was ist mit mir?
Ich: Ich weiß nicht, was mir lieber ist: / die schöne Modulation / oder die schöne Andeutung, / das Pfeifen der Amsel / oder sein Verhauchen.
Augustus: Mann, bist du sexy.
Ich: Wir könnten zu dir aufs Zimmer gehen.
Augustus: Habe schon schlechtere Vorschläge gehört.
Zusammen quetschten wir uns in den winzigen Fahrstuhl, in dem jede Oberfläche verspiegelt war, der Boden eingeschlossen. Wir mussten die Tür selbst zuziehen, und dann kroch das alte Ding ächzend hinauf in den ersten Stock. Ich war müde und verschwitzt und hatte Angst, dass ich eklig aussah und roch, aber ich küsste ihn trotzdem dort in dem Fahrstuhl, und dann wich er zurück und zeigte auf den Spiegel und sagte: »Schau mal, unendlich viele Hazels.«
»Manche Unendlichkeiten sind größer als andere Unendlichkeiten«, sagte ich mit tiefer Stimme, die Van Houtens imitieren sollte.
»Was für ein Esel«, sagte Augustus. So lange und noch länger dauerte es, bis wir im ersten Stock waren. Schließlich kam der Fahrstuhl ruckelnd zum Halt, und Augustus zog wieder an der Spiegeltür. Auf halbem Weg zuckte er vor Schmerz zusammen, und seine Hand rutschte vom Türgriff ab.
»Alles okay?«, fragte ich.
Nach einem Moment sagte er: »Ja, ja, die Tür ist nur ganz schön schwer, schätze ich.« Dann zog er wieder und bekam sie ganz auf. Natürlich ließ er mir den Vortritt, aber ich wusste nicht, in welche Richtung es ging, deshalb blieb ich auf dem Gang stehen, und er stand auch nur da, das Gesicht immer noch verzerrt, und ich fragte wieder: »Alles okay?«
»Nur etwas aus der Form, Hazel Grace. Alles ist gut.«
Wir standen einfach da, auf dem Hotelflur, aber er ging nicht voran zu seinem Zimmer oder so was, und ich wusste nicht, wo sein Zimmer war, und während der Stillstand andauerte, bildete ich mir fest ein, dass er verzweifelt nach einer Entschuldigung suchte, mich nicht mitnehmen zu müssen, und ich hätte den Vorschlag überhaupt nie machen dürfen, es ziemte sich nicht für eine Frau, und deswegen ekelte sich Augustus Waters vor mir, der ohne ein Blinzeln vor mir stand und mich ansah und sich wahrscheinlich den Kopf darüber zerbrach, wie er sich höflich aus der Affäre ziehen könnte. Nach einer geschätzten Ewigkeit sagte er: »Es ist über dem Knie, und erst wird es ein bisschen dünner, und dann ist da nur noch Haut. Da ist auch eine fette Narbe, aber eigentlich sieht man nur …«
»Was?«, fragte ich.
»Mein Bein«, erklärte er. »Nur damit du vorbereitet bist für den Fall, ich meine, für den Fall, dass du es mal siehst oder so was …«
»Ach, stell dich nicht an«, sagte ich erleichtert und machte die zwei Schritte auf ihn zu. Ich küsste ihn, stürmisch, drückte ihn an die Wand und küsste ihn weiter, während er in der Tasche nach dem
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