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Das Schiff aus Stein

Das Schiff aus Stein

Titel: Das Schiff aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
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die eine führte sie nach unten, wahrscheinlich Richtung Meer. In die andere nach oben. Dort musste der Tempel liegen, den Bent und Anselm gesehen hatten. Das Glas, dachte Rufus. Wenn Amilcar und sein Onkel mit dem Fremden, von dem sie zuvor gesprochen hatten, Geschäfte machten, dann würde dieser sein Schiff wahrscheinlich am Hafen haben. Also müssen wir zum Hafen und dort suchen.
    Er wollte gerade den Mund aufmachen und es den anderen sagen, als es über ihm flatterte.
    Eine rot und braun gefiederte Taube mit weißen Federn am Schwanz und einem sehr langen Hals ließ sich auf dem Dach des Gebäudes über den beiden Säulen nieder und beäugte die Straße.
    Sie stieß ein dunkles Gurren aus.
    Unwillkürlich musste Rufus an die Taube der letzten Nacht denken.
    Er blickte zu dem Vogel empor. Diese Taube war wunderschön. Ja, so eine zarte und schöne Taube hatte er noch nie in seiner Zeit gesehen. Und doch machte sie ihm auf eine merkwürdige Art Angst. Denn sie ließ ihn an Minster denken, seine Führerin in den Traumfluten. Was war, wenn Coralia ihn nicht nur beobachten ließ, sondern auch selbst beobachtete? Was, wenn diese Taube vielleicht ihre Traumführerin war?
    Unwillkürlich duckte sich Rufus. Wenn das so war, dann durfte er Coralia nicht offenbaren, wie er sich in einer Flut verhielt. Dann musste er sie sich vom Leibe halten. Hastig rief er den anderen Lehrlingen zu: »Lasst uns nach einem Aussichtspunkt suchen und sehen, ob wir von dort eine Spur entdecken, der wir folgen können. Anselm und Bent hatten vielleicht recht, als sie zu dem Tempel hinaufgestiegen sind!«
    Kaum hatte Rufus das gesagt, hielt ihn Oliver am Ärmel fest und zeigte die Straße hinab. Dann zog er seinen Block hervor und zeichnete rasch einen Hafen.
    »Nein«, sagte Rufus und deutete auf die Taube. »Wir müssen der Taube folgen und hochgehen! Wir müssen uns einen Überblick verschaffen.«
    Oliver verzog den Mund und schüttelte heftig den Kopf. Wieder deutete er in die andere Richtung.
    Rufus bemerkte, dass Filine und No ihn verwirrt musterten.
    »Warum willst du denn einer Taube nach?«, fragte Filine leise. »Wie kommst du denn darauf? Gestern dachtest du doch noch –«
    »Ich weiß nicht«, unterbrach Rufus sie. »Es ist nur so eine Idee! Intuition, verstehst du?«
    »Ich finde das aber auch komisch«, brummte No. »Ehrlich, Rufus, wer geht denn schon einer Taube nach? Und warum? Die hat doch bisher in der Flut nicht die allerkleinste Rolle gespielt!«
    Filine nickte. »Ich gebe zu, ich finde mich in dieser Flut überhaupt nicht zurecht, und habe keine Idee, wo wir hin sollen. Aber diese Taube … ich weiß nicht!?«
    Rufus blickte zu Anselm und Bent. Die beiden sahen sich überhaupt nicht in der Stadt um, sondern starrten nur ihn an.
    Rufus biss sich auf die Lippen. Er kam sich jetzt total beobachtet und ausspioniert vor. Und dieses Gefühl war schrecklich.
    »Fili, No«, flüsterte er. »Ich kann euch das jetzt nicht erklären, aber wir müssen weiter, okay?« Ohne abzuwarten, lief Rufus los. Er folgte der Straße nach oben und bog in die nächstbeste Einmündung ab. Um ihn herum drängten sich viele Menschen in unterschiedlichster Kleidung. In der Stadt war es so voll wie in einer Fußgängerzone am Samstagvormittag. Und plötzlich stieg Rufus auch der seltsame Gestank vom letzten Mal wieder in die Nase.
    »Los, kommt schon!«, hörte er Anselm hinter sich rufen. »Wir gehen Rufus nach, er ist der Boss!«
    »Der Boss?«, fragte Filine empört. »Was ist denn das für ein Schwachsinn?«
    »Na, klar! Gestern haben wir nicht auf ihn gehört, und das ist schiefgegangen. Also tun wir es heute«, erklärte Anselm.
    Diese Worte machten Rufus nur noch nervöser. Er lief jetzt, ohne nachzudenken, weiter. Er warf einen Blick über seine Schulter und sah Bent näherkommen.
    »Wow, seht mal da!« Bent streckte den Finger aus, als sie auf einen länglichen Platz kamen, an dessen Schmalseite ein großes Gebäude mit hoch aufragenden, glatten Mauern lag. Davor waren Marktstände aufgebaut, zwischen denen Männer mit langen, aber auch ganz ohne Bärte und viele Frauen herumliefen.
    Manche von ihnen waren als Griechen zu erkennen, wie Rufus aus Antike Gewandkunde wusste. Sie trugen ein um den Körper gelegtes helles Leinentuch als Untergewand und darüber ein farbiges Wolltuch, das mit einem Gürtel in der Taille zusammengehalten wurde und an den Rändern bunt bestickt war. Andere Männer sahen aus wie Ägypter. Sie hatten dunkle Perücken

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