Das Schiff aus Stein
hättet euch in Meister Otomos Haus zurückgezogen. Aber wie auch immer, ihr kommt gerade richtig. Ich habe von Meister Spitznagel gehört, dass ihr euch auf einem phönizischen Schiff herumtreibt. Stimmt das?«
»Ja, Meister Zachus«, sagte Anselm. »Und warum kommen wir deshalb gerade richtig?«
»Weil das Ding, das ich hier in der Hand halte, ein Ruder ist. Wisst ihr, wie der Dichter Homer Ruder einmal genannt hat?«
Alle schüttelten die Köpfe.
»Die Flügel des Bootes. Und wisst ihr auch, welchen Rat er in seinem Werk Odysseus zuteilwerden ließ, als dieser sich vor dem wütenden Gott der Meere, Poseidon, verstecken musste?«
Wieder schüttelten die Lehrlinge die Köpfe.
»Odysseus sollte so lange vom Meer fort, tiefer ins Land wandern und dabei ein Ruder mit sich tragen, bis die Menschen, auf die er traf, dieses nicht mehr als Ruder erkannten, sondern darin eine Schaufel sähen, mit der man nach der Ernte das Korn in die Luft wirft und damit die Spreu vom Weizen trennt. Dann nämlich wäre Odysseus an einem Ort, wo der Meeresgott keine Macht mehr besaß.« Meister Zachus schmunzelte. »Ein kluger Rat, nicht wahr? Aber womit kann ich euch helfen?«
Die Lehrlinge schilderten ihm, was sie erlebt und gesehen hatten. »Die Glasbläserei um 400 vor Christus?« Meister Zachus legte das Ruder zur Seite und lief durch die Werkhalle auf die Regale mit den Werkzeugen zu. »Das ist sehr früh! Es gibt bisher auch in der Akademie keine archäologischen Funde, die diese Handwerkskunst so früh belegen. Und in der Wissenschaft außerhalb unserer Mauern gibt es sogar Streit darüber, wann die Glasbläserei erfunden wurde. Und von wem, weiß man schon gar nicht. Normalerweise stellen wir in der Akademie ja immer wieder fest, dass die sogenannten ersten Erfindungen an vielen verschiedenen Orten über einen längeren Zeitraum mehrfach gemacht wurden. Es gibt so gut wie nie den einen Moment, sondern die neuen Dinge liegen über Jahre hinweg in der Luft und dann entdecken verschiedene Menschen sie gleichzeitig.«
Der Meister trat an ein Regal und ergriff ein etwas über einen Meter langes Eisenrohr. »Das ist eine frühe Glasbläserpfeife«, erklärte er. »Sie muss aus einem feuerfesten Material hergestellt sein und das Prinzip ist einfach, wenn man es erst einmal entdeckt hat – sie funktioniert wie ein Strohhalm, nur dass man nicht an ihm saugt, sondern hineinbläst.«
»Genau!«, rief No. »Ich habe als kleiner Junge auch immer mit dem Strohhalm in der Limo geblubbert. Meine Mutter fand das aber gar nicht komisch, dabei hat es total viel Spaß gemacht.«
Filine verzog den Mund, aber Meister Zachus lachte auf. »Limoblasen in die Glasschmelze zu blubbern wird auch einem Glasbläser mit einer Pferdelunge nicht gelingen. Aber man sieht, dass du schon immer einen erfinderischen Geist hattest.« Der Meister zwinkerte No zu.
»Jedenfalls hat es Amilcar so gemacht mit seinem Rohr«, sagte Bent. »Er hat die Luft ins heiße Glas geblasen.«
Meister Zachus hob ein Ende der Gasbläserpfeife. »Bei dieser Pfeife wird hier ein hölzernes Mundstück angesetzt, mit dem anderen Ende wird das heiße Glas aus der Schmelze genommen. Und dann bläst man hinein und füllt das Glas mit Luft wie einen Luftballon! Die Glasbläserpfeife ist ein absolut revolutionäres Werkzeug, das die gesamte Glasherstellung für immer verändert hat! Denn das heiße Glas vorne an der Pfeife kann man nun auf Holz oder Metall wälzen und ihm so eine erste Form verleihen, man nennt das marbeln. Und dann kann man das Werkstück natürlich immer wieder erhitzen und weiter blasen und formen.«
»Wir haben mitbekommen, dass der Glasmacher das Glas in eine Form blasen will«, rief Rufus.
»Aha – er will also ein Hohlgefäß machen. Und das hat er selbst entdeckt?«
»Klar«, nickte No. »Aber er kannte sich davor schon sehr gut mit Glas aus.«
»Das musste er auch. Ohne Vorkenntnisse und die zündende Idee wäre das nicht möglich. Ihr müsst mir später in eurem Flutbericht ganz genau schildern, wie er darauf gekommen ist. Ich habe mich oft gefragt, wie einem Menschen die Idee gekommen ist, Luft ins Glas zu bringen, was der Anlass dazu war.«
»Eine Flöte, Wind und Feuer«, rief Rufus. »Und der Traum seines Vaters!«
Meister Zachus schüttelte erstaunt den Kopf. »Wie umfassend und wie klug!«
»Da ist aber noch etwas«, sagte Rufus. Er erklärte Meister Zachus die Lage, in der sich Amilcar befand, und endete dann: »… und deswegen will er eine
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