Das Schiff der Hoffnung
ein Zwiespalt, der nicht erklärt werden konnte.
Über die Stadt senkte sich die Nacht. Rings von den Bergen flimmerten die Lichter wie große Sterne. Als eine breite, silberne Lichtstraße spiegelte sich der Mond im Hafenwasser. Haußmann war nach diesem Gespräch gegangen und hatte das Zimmer verlassen wollen, aber die Stimme Marions hielt ihn noch einmal zurück:
»Kannst du mir darauf keine Antwort geben?«
»Nein!« hatte er laut geantwortet. »So etwas fragt man nicht in unserer Situation.«
Innerlich noch immer ungewöhnlich erregt, saß er jetzt auf dem Bett zwischen den Koffern und Taschen, während Erika von der Märchenstadt Dubrovnik schwärmte.
»Hier möchte ich ein paar Wochen bleiben, Karli«, sagte sie und sah wieder hinaus auf den mondsilbernen Hafen.
»Ich auch. Aber erst nach Sarajewo, Rika! Auf dem Rückweg, wenn die Pillen geholfen haben, können wir so lange hier bleiben, wie du willst.«
Es wurde eine kurze Nacht.
Lord Rockpourth bestand darauf, daß man zusammen speiste. In seinem großen Zimmer hatte man eine Tafel gedeckt, drei Kellner bedienten, und es war alles ganz anders, als man es sich in einem kommunistischen Land dachte. Lord Rockpourth aß nichts; man hatte ihm einen dünnen Haferschleim gemacht, den er durch ein Glasröhrchen schlürfte. In diesem Haferschleim löste Neffe Robert Vitamintabletten auf.
»Ich habe ein Schloß«, sagte der Lord Rockpourth. »Große Ländereien in Schottland und eine Hazienda in Argentinien. Wieviel Rinder habe ich, Robert?«
»17.000, Onkel James«, sagte der junge Lord.
»17.000! Wenn man sich das vorstellt! Diese Berge von Filets und Rumpsteaks! Und was muß ich essen? Haferschleim! So ist das Leben, liebe Freunde! So betrügt einen das Schicksal!«
Es war spät, als die Haußmanns endlich schlafen konnten. Lord Rockpourth verfiel gegen Mitternacht wieder in eine stumme Lethargie, aber er war hellhörig, nahm alles wahr, und seine Adleraugen blitzten vor Leben. Nur die äußere Hülle versagte wieder ihren Dienst. Es war ein schrecklicher Zustand, einem Scheintod gleich, und es gab keinen Arzt der Welt, der dies ändern konnte.
Marion hatte sich schon früher verabschiedet. Sie täuschte Kopfschmerzen vor. Und wieder glomm in Haußmann die Eifersucht. Warum geht sie schon? Wo geht sie hin? Mit wem hat sie sich verabredet? Was geschieht hinter meinem Rücken?
Unruhig wälzte er sich später im Bett hin und her, während Erika – sie hatte zwei Glas eines süßen, schweren Weines getrunken – fest schlief. Wirre Bilder überfielen ihn, er rang im Halbschlaf mit hundert Lords, wurde auf Schirmen aufgespießt, in der Themse ertränkt.
Am Morgen weckte ihn Klopfen an der Tür, pünktlich 7 Uhr, wie er es an der Rezeption hinterlassen hatte. Er stand auf und fühlte sich elend wie nach einer gewaltigen Sauftour des Kegelclubs in Gelsenkirchen.
Das Frühstück auf der gläsernen Terrasse war kurz. Der junge Lord Robert erschien, ein wenig bleich, und berichtete, daß Onkel James schon im Wagen liege, steif wie ein Brett, aber bei vollem Bewußtsein.
»Wir sollten sofort fahren«, sagte er. »Sie kennen Onkel James ja jetzt. Jede Verzögerung lastet er mir an.«
Haußmann nickte und würgte den Rest eines Brötchens hinunter. Erika hatte gut geschlafen. Sie sah verblüffend jung aus, und immer wieder fragte sich Haußmann, ob nicht doch alles eine Fehldiagnose sei, denn so wie Erika sah keine unheilbar Krebskranke aus.
Marion Gronau wirkte bezaubernd. Sie hatte sich in der Hotelhalle an einem Verkaufsstand ein goldenes Stirnband erstanden, bestickt mit roten Rosen. Nun trug sie die Haare aus der Stirn zurückgekämmt, lang über die Schulter fließend, und in ihren blonden Locken glänzte das goldene Band mit den Rosen, als wüchsen die Blüten aus der Pracht ihrer Haare.
»In zehn Minuten sind wir startbereit«, sagte Haußmann.
In der Hotelhalle stand schon alles bereit. Die Rechnung war von Lord Rockpourth bezahlt, sosehr Haußmann auch protestierte. Vor dem Eingang wartete der große Rolls auf Marion, die neben dem starren Lord fahren sollte. Der Direktor des Hotels kümmerte sich selbst um alles, einerseits, um jugoslawische Gastfreundlichkeit zu demonstrieren, andererseits, weil der junge Lord ihm heimlich ein Trinkgeld gegeben hatte, das zwei Monatsgehälter ausmachte.
Dann fuhren die beiden Wagen los, die Küstenstraße entlang Richtung Ploca, wo kurz vor der Stadt die Straße abzweigt nach Mostar und weiter nach Sarajewo.
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