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Das Schiff - Roman

Das Schiff - Roman

Titel: Das Schiff - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Träume begegnet, nur um zu erfahren,
dass sie nicht nur völlig anders ist als vorgestellt, sondern auch die Hauptverantwortung für unsere missliche Lage trägt. Und die verborgene Gottheit da draußen, die wir vernichten wollten, ist möglicherweise unsere neue Verbündete.
    Das alles ist so schwer zu verdauen, dass ich jetzt lieber nicht darüber nachdenken will.
    Im Nu sind wir am Ende der Röhre angelangt und schweben in die Kammer jenseits der Tanks, weit von dem Weg entfernt, den ich mit den beiden Töchtern eingeschlagen hatte. Als Tsinoy nach meiner Hand greift, fällt mir auf, dass das Gewebe ihrer Klauenpfote glühend heiß ist. Aber ich habe auch schon erlebt, dass diese Pfote mit Raureif überzogen war. Vielleicht ist Tsinoy ein Geschöpf, das in jeder Lage überleben kann? Was kann und verträgt sie sonst noch alles? Kann sie auch ohne Sauerstoff auskommen?
    Mir fällt auf, dass sich die großen blauen »Augen« der sechs Tanks langsam und majestätisch drehen. Nein, in Wirklichkeit bin ich es, der sich in Tsinoys Griff windet, als wäre ich eine Figur aus Pappmaché. Als ich ein Halteseil entdecke, greife ich danach, genau wie Tsinoy; einige Meter vom Rand eines Tanks mit seinen Hohlräumen und Abdeckungen entfernt – ich kann sehen, wie von der Seite her Wasserblasen dagegen schlagen – gelangen wir ans vorläufige Ende dieses Reiseabschnitts.

Das Erbe
    A n mehreren gebündelten Halteseilen entlang hangeln wir uns zur gegenüberliegenden Seite der Kammer. Tsinoy führt mich zu einer offenen Luke, die vom Zahn der Zeit erodiert ist und klemmt, da sie offenbar kaum benutzt wurde. Dahinter liegt ein Wartungstunnel, schmaler als die meisten anderen, eher eine Röhre. Und diese Röhre ist voller Schuttbrocken. Manche davon kleben infolge vieler Schiffsrotationen an der Außenwölbung fest, die anderen verpesten die abgestandene Luft. Zweifellos wurde dieser Teil des Schiffskörpers schon lange Zeit nicht mehr gewartet.
    »Hier ist niemand«, mehr bringe ich in meiner derzeitigen Verfassung nicht heraus. Immer noch sitzt mir Mutters Zurückweisung – die Feindseligkeit meiner früheren Traumfrau – wie ein Stachel im Fleisch. Doch letztendlich hat jetzt etwas Sauberes, Rationales bei mir die Oberhand gewonnen. »Wo führt diese Röhre hin?«, frage ich.
    »Weiß ich nicht.« Tsinoy macht sich so klein wie möglich und quetscht sich vor mir in die Röhre, obwohl sie kaum hineinpasst. »Nell wollte, dass ich dich auf diesem Weg zurückbringe, mehr weiß ich auch nicht.«

    Wir kommen nur langsam voran. Das kratzende Geräusch von Tsinoys verhornten Klauen, das Schaben ihrer Panzerplatten und Wirbel aus Elfenbein zerrt an meinen Nerven, aber je näher ich ihr bin, desto sicherer fühle ich mich. Die Röhre führt an mehreren kreisrunden Öffnungen vorbei, hinter denen dunkle, weite Hohlräume in der Schiffshülle liegen. Dort herrscht nichts als Leere, Stille und Kälte.
    »Dieser Teil des Schiffskörpers ist tot«, murmele ich.
    »Kann sein«, dringt es kaum hörbar aus Tsinoys massigem Körper. Als sie sich umdreht, halte ich an und schiebe mich nach hinten, damit sie sich besser orientieren und abstützen kann. »Warte«, sagt sie. All ihre Sehnen und Muskeln ordnen sich neu, aber sie schafft es trotzdem nicht, sich noch kleiner zu machen. »Ich passe nicht hindurch«, erklärt sie schließlich. »Du wirst allein gehen müssen. Ich werde dir sagen, was du tun musst.«
    Während sie sich flach gegen eine Seite der Röhre presst, fordert sie mich auf, mich an ihr vorbeizuquetschen, was wegen der Enge des Raum schwierig ist. Noch schlimmer ist, dass ich mir den Weg nach vorn an ihren nach außen ragenden Wirbeln und Panzerplatten vorbei bahnen muss, von denen einige rasiermesserscharf sind. Sie nimmt die groben und für sie demütigenden Stöße meiner Ellbogen, Hände und Hüften ungerührt hin, aber ich zerfetze mir dabei die Kleidung und ziehe mir mehrere Schnittwunden an der Brust und den Beinen zu, schaffe es aber schließlich, mich an ihr vorbei zu drücken und den vor mir liegenden Röhrenabschnitt
abzutasten. Plötzlich entdecke ich in dem Dunkel, das nur vom schwachen Leuchten winziger bläulicher Organe an Tsinoys Kiefern erhellt wird, einen seitlichen Spalt. Er ist gerade so groß, dass ein mittelgroßer Mensch hindurchpasst.
    »Vielleicht hat Nell dich deswegen ausgesucht«, bemerkt Tsinoy. »Kim hätte nicht hindurchgepasst.«
    Ich übergehe es als einen Scherz. Aber falls ich Tsinoys Ton

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