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Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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Nachfolger.
    Ich ging hinaus. Ich war der erste, der die Veranstaltung verließ. Aber wo sollte ich hin? Ich hatte elf Cents in der Tasche. Ich ging dahin zurück, wo ich hergekommen war.

    29

    In jenem Sommer, Juli 1934, erschossen sie John Dillinger vor dem Biograph-Filmtheater in Chicago. Er hatte nicht die geringste Chance. Die »Frau im roten Kleid« hatte ihn an die Bullen verraten. Etwas mehr als ein Jahr zuvor waren über fünftausend Banken pleite gegangen. Das Alkoholverbot wurde aufgehoben, und mein Vater trank wieder Eastside-Bier. Doch am schlimmsten war diese Sache mit Dillinger. Viele hatten Dillinger bewundert, und sein Ende setzte ihnen schwer zu.
    Roosevelt war jetzt Präsident und hielt regelmäßig Plauderstunden am offenen Kamin, die im Radio übertragen wurden. Alle saßen gebannt vor ihren Lautsprechern. Der konnte wirklich reden. Er ergriff auch Maßnahmen, um die Arbeitslosen von den Straßen zu holen, doch es stand immer noch sehr schlecht. Und meine Pusteln wurden schlimmer. Sie waren nun unvorstellbar groß.
    Im September sollte ich in die Woodhaven High-school kommen, doch mein Vater bestand darauf, daß ich auf die Chelsey High ging.
    »Hör mal«, sagte ich zu ihm, »die Chelsey ist nicht-mal in unserem Stadtteil. Das ist zu weit.« »Du tust, was ich dir sage. Du meldest dich in der Chelsey an.«
    Ich wußte, warum er mich in der Chelsey haben wollte: Dort gingen die Kinder der Reichen hin. Mein Vater war verrückt. Er wollte immer noch den Reichen mimen. Als Baldy hörte, daß ich auf die Chelsey gehen würde, beschloß er, dasselbe zu tun. Ich wurde ihn so wenig los wie meine Furunkel.
    Am ersten Schultag fuhren wir also mit unseren Fahrrädern zur Chelsey High. Als wir die Räder dort abstellten, kam ich mir vor wie der letzte Dreck. Die meisten Schüler, jedenfalls die älteren, hatten ihr eigenes Auto. Viele von ihnen fuhren nagelneue Kabrioletts, und die waren nicht schwarz oder dunkelblau wie die meisten Autos, nein, sie waren knallgelb, grün, orange und rot. Die Jungs saßen vor der Schule in ihren Schlitten, und die Mädchen umdrängten sie und ließen sich zu Spazierfahrten einladen. Alle waren adrett gekleidet, die Jungs wie die Mädchen. Pullover mit V-Ausschnitt. Armbanduhren. Modisches Schuhwerk. Sie wirkten sehr erwachsen und gewandt und überlegen. Und da stand ich nun mit meinem selbstgenähten Hemd, meiner abgetragenen Hose, meinen abgelatschten Schuhen. Und mit Pickeln von Kopf bis Fuß. Die Jungs mit den Autos brauchten sich wegen Akne keine Gedanken zu machen. Sie waren stattliche, hochgewachsene Burschen mit einer glatten reinen Haut und strahlend weißen Zähnen, und zum Haarewaschen nahmen sie auch keine Kernseife. Sie schienen etwas zu wissen, das mir verwehrt blieb. Ich war mal wieder der Bodensatz. Angesichts der vielen Autos genierten sich Baldy und ich wegen unserer Fahrräder. Wir ließen sie zuhause und gingen zu Fuß zur Schule. Zweieinhalb Meilen hin, zweieinhalb Meilen zurück. Unsere Pausenbrote brachten wir in braunen Papiertüten mit. Die meisten anderen Schüler aßen nicht einmal in der Schulkantine. Sie fuhren mit den Mädchen in die nächste Milchbar, drückten Platten auf der Jukebox und amüsierten sich. Auf sie wartete bereits die University of Southern California.
    Die Pickel waren mir sehr peinlich. In der Chelsey hatte man die Wahl zwischen Sport und R.O.T.C. (Reserve Officers’ Training Corps). Ich entschied mich für den Kadettenverein, denn da mußte ich nicht in Sporthose und Trikot herumlaufen, und niemand konnte meinen pickeligen Körper sehen. Doch die Uniform haßte ich natürlich auch. Das Hemd war aus Wolle und juckte auf meiner entzündeten Haut. Die Uniform mußte von Montag bis Donnerstag getragen werden. Nur freitags durften wir in Zivil gehen.
    Wir studierten die Heeresdienstvorschrift und erfuhren alles über Kriegführung und solchen Kram. Wir mußten Prüfungen machen, wir exerzierten auf dem Sportplatz, und wir kloppten Griffe mit dem Gewehr. Das mit dem Gewehr erwies sich als unangenehm für mich. Ich hatte Pickel auf den Schultern, und wenn es »Gewehr über!« hieß und ich mir das Ding auf die Schulter knallte, platzte manchmal ein Pickel auf, und das Zeug drang mir durchs Hemd. Das Blut kam durch, aber da das wollene Hemd dick und saugfähig und olivgrün war, fiel der Fleck nicht sehr auf, und es sah nicht wie Blut aus.
    Ich erzählte meiner Mutter von dem Problem, und sie nähte mir Flicken unter die

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