Das Schloss am See: Mittsommerherzen (German Edition)
niemandem gelungen war: Sie riss Lisbet aus ihrer Lethargie. Als sie in Selbstmitleid zu versinken drohte, verlieh Hilda ihr neue Kraft und neuen Mut, sich den Herausforderungen zu stellen. Lisbet verdankte ihr viel mehr, als sie jemals hatte zurückgeben können.
Und auch nach der Reha blieben die beiden Frauen in Kontakt. Während Hildas Beschwerden fast gänzlich verschwunden waren, stand Lisbet noch ein langer, mühsamer Weg bevor. Hilda war es, die ihr schließlich den Rat gab, es mit einem Tiertherapeuten zu versuchen.
Der Therapeut lebte und arbeitete in einem Häuschen am Siljansee, nicht weit entfernt von Beringholm Slott. Doch Lisbet hatte sich inzwischen schon mit einem Leben im Rollstuhl arrangiert und glaubte nicht mehr, dass ihr noch irgendjemand zu helfen vermochte. Warum sollte dieser Therapeut mehr Erfolg haben als die Ärzte in der Reha-Klinik? Nur Hilda zuliebe ließ sie es trotzdem auf einen Versuch ankommen – und erlebte eine Überraschung.
Als sie ihre Freundin knapp zwei Monate später zum ersten Mal auf Beringholm Slott besuchte, konnte sie bereits wieder einige Schritte aus eigener Kraft laufen. Ein halbes Jahr darauf brauchte sie nicht einmal mehr Krücken.
Hilda freute sich über ihre Fortschritte und auch ihre Besuche. Dennoch merkte Lisbet, dass die alte Dame sich dafür schämte, wie verfallen ihr Schloss war. Doch Geld, selbst für dringend notwendige Reparaturen, war schlichtweg nicht vorhanden. Lisbet war unterdessen von der Therapie nach Stockholm zurückgekehrt und hatte ihr altes Leben in Trümmern vorgefunden. Da sie nun nicht mehr das erfolgreiche Popsternchen war, interessierten sich die meisten ihrer früheren Freunde plötzlich nicht mehr für sie. Ihre Eigentumswohnung im angesagten Stadtteil Södermalm, in der sie gemeinsam mit Ruben gewohnt hatte, war voller Erinnerungen, die sie am liebsten einfach nur vergessen wollte. Erinnerungen an Zeiten, in denen sie noch an die große Liebe geglaubt hatte …
Kurzerhand entschloss sie sich, alles hinter sich zu lassen. Nach der Enttäuschung fühlte sie sich ohnehin nicht mehr imstande, auch nur eine einzige Note zu singen. Also machte sie Hilda ein Angebot: Sie brachte ihr kleines Vermögen ein, das aus Plattenverkäufen und Werbeverträgen stammte, finanzierte damit die dringend notwendigen Instandhaltungsarbeiten am Schloss und den Stallungen und Wirtschaftsgebäuden. Im Gegenzug stellte Hilda die Ländereien und Räumlichkeiten von Beringholm Slott zur Verfügung. Sie wurden sich sofort einig. Lisbet verkaufte ihre Wohnung und zog bei Hilda ein. Seitdem hatte sie ihre Entscheidung nicht ein einziges Mal bereut, auch wenn es bedeutete, dass sie auf so manchen Luxus verzichten musste, an den sie sich im Lauf der Jahre gewöhnt hatte. Sie tat es gern, denn sie wusste, dass sie zum ersten Mal etwas wirklich Sinnvolles machte.
Sie hatte also auf Beringholm Slott ein vollkommen neues Leben angefangen – und das würde sie sich von Hannes Westenberg nicht kampflos wieder zunichtemachen lassen!
Um sich zu beruhigen, ließ sie ihren Blick über den nächtlichen Schlosshof schweifen. Im gegenüberliegenden Flügel des Schlosses brannte Licht hinter einem der Fenster. Lisbet stockte der Atem, als jemand in dem hell erleuchteten Rechteck erschien.
Hannes. Er war offenbar gerade dabei, sich für die Nacht vorzubereiten, denn sein Oberkörper war nackt, und Lisbet konnte trotz der Entfernung deutlich seine klar definierten Muskeln erkennen.
Sie wusste, sie sollte sich abwenden. Es war ungehörig, einen halb nackten Mann, den sie zudem kaum kannte, so ungeniert anzustarren.
Trotzdem schaffte sie es einfach nicht, den Blick von ihm zu lösen.
Und dann schaute er plötzlich in ihre Richtung, und sie zuckte erschrocken zusammen. Hastig zog sie die Läden zu, dann legte sie sich sofort ins Bett, zog die Decke bis zum Hals hoch und schloss die Augen. Doch ihr Herz klopfte noch lange wie verrückt, und immer wieder tauchte
sein
Gesicht vor ihrem inneren Auge auf.
Als sie knapp eine Stunde später endlich zur Ruhe kam, verfolgte Hannes sie sogar bis in ihre Träume.
4. KAPITEL
G oldenes Sonnenlicht sickerte durch die Fensterläden, als Hannes am nächsten Morgen die Augen aufschlug. Er konnte das Zwitschern der Vögel, das leise Knarren und Ächzen des alten Gebälks und das Rauschen des Windes draußen hören – sonst nichts. Für ihn, der daran gewöhnt war, von der Geräuschkulisse der Stadt umgeben zu sein, von Gesprächsfetzen,
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