Das Schloss am See: Mittsommerherzen (German Edition)
besser als seine Stiefmutter Nadine, die ihren fünfzehn Jahre älteren Mann mit einschmeichelndem Lächeln dazu bewegte, ihre hemmungslose Verschwendungssucht zu finanzieren – und zum Dank dafür, sobald er ihr den Rücken zuwandte, gegen seine Erben intrigierte, damit ihr eigener Sohn Albert die Firma erbte. Lisbet ging bei all dem lediglich ein wenig subtiler vor.
Aber warum fiel es ihm dann so schwer, Nägel mit Köpfen zu machen? Selbst wenn dieser Nutzungsvertrag zwischen Lisbet und seiner Großtante tatsächlich existierte – er würde mit Sicherheit Mittel und Wege finden, damit sie freiwillig ging. Er glaubte keine Sekunde daran, dass sie ihre Maskerade der edlen Wohltäterin dann noch weiter aufrechterhielt. Sollte er sich täuschen, konnte er ihr ja immer noch helfen, eine geeignete neue Bleibe für sich und ihre Tiere zu finden.
Der Duft von Kaffee und frisch gebackenen Brötchen wehte zu ihm herüber. Doch obwohl sein Magen vernehmlich knurrte, machte er einen großen Bogen um die Küche. Lisbet wollte er jetzt lieber nicht begegnen. Er musste ernsthaft darüber nachdenken, wie es weitergehen sollte, und sie würde ihn nur daran hindern, mit kühlem Verstand an die Sache heranzugehen.
Er trat durch eine Seitentür ins Freie, verließ den Burghof über die Zugbrücke und ging ein Stück am See entlang. Wider Erwarten fehlten ihm der Lärm und der Trubel der Großstadt überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil: Er hatte sich selten so lebendig, so energiegeladen gefühlt wie hier, und das überraschte ihn ehrlich.
Versonnen ließ er seinen Blick über den See schweifen. Am gegenüberliegenden Ufer erstreckten sich sanfte grüne Hügel und dichte Wälder, so weit das Auge reichte. Dazwischen entdeckte er immer wieder vereinzelte Häuser, allesamt im typischen
Falunröd
, für das dieser Landstrich Schwedens so bekannt war. Sie wirkten wie rote Farbspritzer, die von einem nachlässigen Maler mit dem Pinsel auf eine grüne Leinwand getupft worden waren.
Unwillkürlich fragte Hannes sich, wie es wohl sein mochte, hier zu leben, doch rasch verwarf er den Gedanken wieder. Er war ein Stadtmensch, und daran konnte auch eine noch so schöne Umgebung nichts ändern. Auf Dauer würden ihn all die gute Luft und die herrliche Natur nur langweilen, denn was hatte das Leben auf dem Land sonst schon zu bieten?
Das Geräusch eines Autos riss ihn aus seinen Gedanken. Er drehte sich um und entdeckte einen Geländewagen mit Ladefläche, der mit der unwegsamen Zufahrtsstraße keinerlei Probleme zu haben schien. Neugierig ging Hannes in Richtung Schloss zurück und erreichte es gerade, als der Fahrer ausstieg.
Der Mann war gedrungen, jedoch nicht korpulent, sondern eher kräftig und grobschlächtig. Sein rötlichbraunes Haar war dünn und strähnig, der Haaransatz bereits weit zurückgewichen. Das Gesicht wurde dominiert von einer schmalen, spitzen Nase und stechenden gewittergrauen Augen, mit denen der Fremde ihn nun taxierte.
„Kann ich etwas für Sie tun?“ Hannes trat auf den Mann zu. Er war ihm auf Anhieb unsympathisch, ohne dass er sagen konnte, woran genau es lag. Normalerweise gab er nicht viel auf Äußerlichkeiten, wenn es darum ging, Menschen einzuschätzen.
Der Unbekannte hob eine Braue. „Wer sind Sie denn?“, fragte er schroff, dann fing er an, bellend zu lachen. „Sagen Sie bloß, die Carlsson hat Sie als Wachhund engagiert, weil Sie sich nicht traut, selbst mit mir zu reden!“
„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, entgegnete Hannes wahrheitsgemäß. „Aber Ihr Tonfall gefällt mir nicht.“
„Und mir gefällt nicht, wie Sie sich hier aufspielen“, entgegnete der Fremde. „Ich frage Sie noch einmal: Wer zum Teufel sind Sie?“
„Mein Name ist Hannes Westenberg“, erwiderte er kühl. „Und meine Großtante hat mir Beringholm Slott vermacht.“
Die Verwandlung, die mit seinem Gegenüber vor sich ging, war erstaunlich. Zuerst drückte seine Miene Überraschung aus, doch er fing sich rasch wieder und lächelte unterwürfig. „
Förlåt“
, entschuldigte er sich und deutete eine kleine Verbeugung an. „Ich hatte ja keine Ahnung … Aber dann sind Sie ja genau der Mann, mit dem ich sprechen möchte!“
Hannes runzelte die Stirn. „Und wer bitte schön sind Sie?“ Er konnte Leute, die wie ein Fähnchen im Wind ständig ihre Haltung wechselten, nicht ausstehen. „Und vor allem: Was wollen Sie von mir?“
„Steen ist mein Name“, antwortete der Mann eilfertig. „Kristof Steen. Ich
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