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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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will zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, es
tut mir leid, daß ich fortgelaufen bin; das war nicht recht von mir, das hätte
ich nicht tun sollen. Ich bin nicht wert, daß ich dein Sohn heiße; ich bin
froh, wenn ich nur ein Knecht bei dir sein darf.‹ Also nicht mehr der Sohn, nur
noch der Knecht seines Vaters will er sein.«
    Der Lehrer sieht die Kinder an.
    »Wär er nicht fortgelaufen!« —
»Es geschieht ihm recht!«
    Schweigen. Alle schauen
erwartungsvoll auf den Lehrer. Sie wollen wissen, wie es weitergeht.
    »Da nahm er seinen Stecken und
ging die ganze Nacht hindurch, bis zum andern Morgen. Seine Schuhe haben
Löcher, seine Kleider sind zerrissen, sein Haar ist ganz verwildert, voller
Schmutz und Dreck ist er. Und nun steht er unter der großen Linde vor seines
Vaters Haus und traut sich nicht hinein. Was wird der Vater sagen?«
    Der Lehrer macht eine Pause.
    »Er wird ihn fortjagen.« Ein
Mädchen sagt: »Vielleicht hat der Vater ihn noch lieb.«
    »Du hast recht. Ihr habt vorher
selbst gesagt, der Vater hat seinen Sohn lieb. Denkt euch nur: Er schaut an
diesem Morgen zum Fenster hinaus und sieht jemand unter der Linde stehen. Ganz
scharf schaut er hin. Ist das nicht mein Sohn? Ja, er ist es. Er geht hinaus
und fällt ihm um den Hals und gibt ihm einen Kuß. Der Sohn sagt: ›Vater, es war
nicht recht, daß ich fortgegangen bin; es tut mir leid, vergib mir. Ich bin
nicht wert, daß ich dein Sohn heiße; ich bin froh, wenn ich bloß Knecht bei dir
sein darf.‹
    Aber der Vater dreht sich um
und ruft allen seinen Knechten und Mägden: ›Bringet ihm einen neuen Anzug und
neue Schuhe und gebt ihm einen goldenen Ring an den Finger, schlachtet ein
Kalb! Wir wollen ein großes Fest feiern und essen und trinken und fröhlich
sein, denn dieser mein Sohn ist fortgelaufen und wieder heimgekommen. Er war
verloren und ist wieder gefunden.‹ Und sie feierten ein großes Fest und waren
alle sehr fröhlich.«
    Auch die Kinder sind fröhlich,
daß alles so gut ausgegangen ist und daß der Vater den Sohn so lieb aufgenommen
hat. Der Lehrer läßt den Freudeäußerungen der Kinder freien Lauf. Aber dann
fragt er noch einmal:
    »Wie hat der Sohn zu dem Vater
gesagt, als er heimgekommen ist?«
    Nach einigem Zögern folgt die
Antwort: »Es war nicht recht.« — »Es tut mir leid.« — Vergib mir.«
    »Zu wem sagen denn wir so?«
    Schweigen. Sie schauen sich an.
    Der Lehrer hilft nach: »Kennt
ihr nicht ein Gebet, wo wir auch so sagen. ›Vergib mir‹?«
    Jetzt streckt einer: »Vergib
uns unsere Schuld.«
    »Wie heißt denn das Gebet?«
    Das wissen die meisten: »Das
Vaterunser.«
    »Wie beten wir im Vaterunser?«
    »Vergib uns unsere Schuld.«
    »Wir sprechen es alle noch
einmal: ›Vergib uns unsere Schuld.‹ Sooft wir das Vaterunser miteinander beten,
wollen wir daran denken, wie der verlorene Sohn zu seinem Vater sagt: ›Es tut
mir leid, vergib mir.‹
    So, nun dürft ihr gehen.«
    Sie gehen hinaus. Den Besuch
haben sie ganz vergessen.
     
    Der Professor stand auf. »Das haben
Sie fein gemacht. Ich hätte nicht gedacht, daß die Kinder so mitgehen. Aber
noch eine Frage: Den älteren Bruder haben Sie wohl absichtlich weggelassen?«
    »Gewiß. Aus Rücksicht auf das
Fassungsvermögen der Kinder. Aber wenn ich ihnen die Geschichte noch ein
paarmal erzählt habe, werden sie bei der fünften Bitte an den verlorenen Sohn
denken und werden sich künftig bei dem Wort ›Schuld‹ etwas vorstellen können.
Mehr will ich nicht erreichen.«
    »Das ist schon viel, und ich
bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mir das gezeigt haben.«
    Er verabschiedete sich
freundlich: »Ich wünsche Ihnen und Ihren Kindern das Beste — es war sehr
interessant.«
     
    Wie ein Geschenk des Himmels
erschien es Landenberger, daß an einem der folgenden Tage ein Schreiben des
Hofkammerguts zu Stetten im Remstal eintraf, worin der Anstalt im Auftrag des
Königs das dortige Schloß mit allem Zubehör zum Kauf angeboten wurde.

STETTEN
     
     
    Es war, als hätte Gott schon längst
im Verborgenen einen kostbaren Schatz bereit gehalten, um zur rechten Zeit alle
Wünsche und Gebete erfüllen zu können.
    Landenberger wußte wohl, daß in
Stetten bis vor einem guten Jahrzehnt eine hohe Schule des Geistes
untergebracht war, ein christliches Gymnasium, das von den »besten Familien«
des Landes beschickt wurde. Dieses stolze Schloß sollte ein Heim für armselige
Schwachsinnige werden? Wollte Gott so hoch hinaus mit ihnen? Fast konnte er es
nicht

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