Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten
aufzuhalten und die Kranken wenigstens in einem
erträglichen Zustand zu erhalten«.
Seit den Tagen Dr. Häberles ist
so die Anstalt Stetten ein Ort geblieben, wo Waffen zur Bekämpfung der
Epilepsie erprobt wurden, und wenn sie in späteren Jahrzehnten auch wechselten,
wurden doch immer neue Erfolge erzielt. Darum müssen die Namen seiner
Nachfolger — Wildermuth, Habermaas, Schott und Gmelin — wenigstens genannt
werden.
Auch in diesem Ringen bewährte sich
das »Schloß an der Grenze«: Hier wurde der Feind gestellt und — nicht nur mit
den Mitteln der Wissenschaft, sondern mit Hingabe, Liebe und Geduld — bekämpft.
In diesem gewaltigen Ringen gab es Siege und Niederlagen, Erfolge und
Enttäuschungen, wie es sie bei allen Kämpfen in der Welt gibt. Aber hier in
Stetten geschahen sie nicht zur Vernichtung, sondern zur Rettung des Menschen.
Indessen stand Landenberger
unermüdlich, auch bei wachsender Arbeit, auf seinem Posten. Wohl war sein
Schwiegersohn Kölle Hausvater bei den Epileptischen geworden und zugleich als
Lehrer an der Schule tätig, aber das Anstaltspersonal wuchs mit der Zahl der
Pflegebefohlenen, und die Anstalt begann allmählich ein kleines Dorf für sich
zu werden. Ging es nicht über seine Kraft? Gelegentlich klagte er, daß die Last
der Geschäfte und Sorgen den Schultern oft zu schwer werde, denn jeder neue
Pflegling bringe seine besonderen Bedürfnisse mit und stelle vor neue Aufgaben,
immer neues Personal müsse gewonnen und eingelernt, immer neue Räume müßten
wohnlich gemacht und möbliert werden. In drei Jahren habe man allein für Bauen
und Beschaffung von Inventar über 27 000 Gulden aufgewendet.
Wie gern hätte er einmal alle
seine Gedanken und Erfahrungen in der Arbeit mit den Schwachsinnigen im Zusammenhang
niedergeschrieben! Aber er fand keine Zeit dazu. Er konnte immer nur in seinen
Jahresberichten einige wenige Andeutungen machen.
Als der Krieg von 1870
ausbrach, war er damit beschäftigt, über »die Entwicklung des Gemüts bei
Schwachsinnigen« nachzudenken und seine Beobachtungen darüber aufzuzeichnen.
Beim Anstaltsfest in diesem denkwürdigen Jahr sagte er, wie dankbar die
Hausgemeinde von über 200 Seelen sein müsse, daß Süddeutschland nicht der
Kriegsschauplatz geworden sei. Zu Anfang des Krieges habe er mit Sorge daran
gedacht, was aus ihnen allen werden solle, wenn dieser Fall auch nur für eine
kurze Zeit einträte. Würde der Gegner die Bestimmung und den Frieden der
Anstalt respektiert haben? Hätte er es zur Kenntnis genommen, daß Stetten immer
auch Kinder aus Frankreich um ein geringes Kostgeld bei sich beherbergte? Sie
könnten Gott nicht genug dafür danken, daß solche Wolken der Sorge sich bald in
nichts auflösten.
Landenberger konnte nicht
ahnen, was für ungeheuerliche Folgen 70 Jahre später ein Krieg für seine
geliebten Kinder, seine Arbeit, sein Lebenswerk haben sollte, nicht durch
fremde Eroberer, sondern durch die Schuld der eigenen Regierung.
1874 feierte die Anstalt das
25jährige Jubiläum ihres Bestehens. Gleichzeitig wurde der Neubau für
Epileptische eingeweiht.
In seiner Ansprache wies
Landenberger darauf hin, daß unser Volk 1849 noch an den Nachwehen von 1848
gelitten habe: »Handel und Wandel waren noch gelähmt, Armut und Armutei in
weiten Volkskreisen verbreitet, Mut zu wohltätigen Unternehmungen fehlte.«
Dennoch hätten sich christliche Menschenfreunde entschlossen, eine Anstalt für
schwachsinnige Kinder ins Leben zu rufen, obwohl man damals noch keinerlei
Erfahrung in der Pflege solcher Menschen gehabt habe. Weder in medizinischer noch
in pädagogischer Hinsicht seien irgendwelche Vorarbeiten geleistet gewesen, nur
das eine habe von Anfang an festgestanden: die Anstalt wollte eine christliche
sein.
Er schilderte dann die
Entwicklung des Unterrichts, mit dem sie einst tastend begonnen und wobei sie
bald die große Bedeutung des Zeichnens für das schwachsinnige Kind erkannt
hätten. Bei der kunstgewerblichen Schulausstellung 1872 in Stuttgart habe die
Anstaltsschule für Methode und Erfolg das Zeugnis »gut« bekommen. Er erzählte
auch von einer Reise, die er schon im Frühjahr 1856 mit Hilfe einer
Staatsunterstützung hatte machen dürfen und in deren Verlauf er sämtliche
Schwachsinnigenanstalten in Holland und Deutschland besucht habe. Da habe er
gesehen, was andere bisher auf diesem Feld geleistet hätten, und habe so manche
Anregung bekommen.
Zum Schluß berichtete er von
einer Stiftung von 46 500
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