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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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hindurch
getragen, sie vor aller Fährlichkeit beschirmt und vor allem Übel behütet und
bewahrt habe. Diese Worte hatte die Inflation nicht entwerten können, und im
Feuer hatten sie sich buchstäblich bewährt.
    Das neue Krankenhaus stand seit
Jahresfrist und war bis auf den letzten Platz gefüllt. Man konnte sich die
Arbeit an den Kranken ohne es schon gar nicht mehr denken. Die Zahl der
Pfleglinge betrug insgesamt 66g, die der Mitarbeiter 153.
    Die Erde hatte gewankt, aber
Stetten war nicht gefallen. Gottes Güte hatte das Werk der Liebe bewahrt.
    Als der Inspektor mit seiner Frau
vor dem Tor in das Auto stieg, das sie auf den Bahnhof bringen sollte, hatte er
einen langen Abschied mit vielem Händedrücken hinter sich. Der kleine Heinz
konnte sich gar nicht von ihm trennen, kletterte auf den Tritt, schaute mit
bekümmertem Gesicht in den Wagen und rief: »Fort? Ade! Kommscht nimmer?
Kommscht nimmer!« So gab er sich selber die Antwort auf seine Frage. Aber
einmal muß ja geschieden sein. Man zog ihn also weg, und die Tür wurde
geschlossen. Der Motor lief an, der Wagen setzte sich in Bewegung und war im Nu
verschwunden.
    Mit offenem Munde stand der
kleine Heinz da und starrte dem entschwundenen Auto nach. Dann wandte er sich
um, schüttelte den Kopf und wiederholte, indes er in den Hof zurücktrottete:
»Inspektor ganz fort? Kommt nimmer? Inspektor ganz fort, kommt nimmer!«
    Es war nicht leicht für ihn,
diese Welt zu begreifen, in der es so etwas wie einen Abschied für immer gab.
    Aber der neue Inspektor stand
mit seiner Frau schon bereit, das Erbe des alten anzutreten, und dazu gehörte
auch er, der kleine Heinz.

DAS WUNDERBARE ETWAS
     
     
    Im Inflationsjahr 1923 wurde,
wie mancher andere, der junge Adolf, der an schwerer Epilepsie litt, von seinen
Eltern aus der Anstalt geholt. Es war ihnen nicht mehr möglich, das Kostgeld für
ihn zu bezahlen. Später, als wieder geordnete Verhältnisse waren, brachten sie
ihn — er stammte aus Norddeutschland — in einem Pensionat am Fuß des
Harzgebirges unter. Aber er konnte Stetten nicht vergessen, und im Frühjahr
1927 schrieb die Mutter an den Inspektor: »Er hatte es in X sehr, sehr gut, und
doch ist er in seinem schönen Zimmer mit dem Blick nach den blauen Bergen nie
warm und heimisch geworden. Dieses wunderbare Etwas, das in Ihrer
Anstalt lebt und das man doch nicht sehen, nur fühlen kann, hat ihn immer
sehnsüchtig nach Stetten gemacht. Ich sprach heute mit Frau Rat..., deren
Schwester auch von Ihnen aus nach Hause genommen wurde. Trotzdem ihr daheim
alle mit Liebe und Geduld begegneten, wollte sie zu Ihnen zurück, und sie ist
dann auch in Ihrer Anstalt gestorben.«
    Was sollte der Inspektor der
Mutter anderes antworten als: »Bringen Sie Ihren Sohn wieder zu uns!«
    Am 29. Juni schrieb sie voll
Freude:
    »Neben mir sitzt Adolf, und
sein Gesicht leuchtet bei dem Gedanken, daß es am 1. Juli nach Stetten zurück
geht. Ich muß es ihm immer wieder erzählen, daß wir 19.26 Uhr dort ankommen.«
    Aber am 1. Juli erhielt der
Inspektor ein Telegramm: »Kommen nicht. Adolf heute nacht sanft entschlafen.«
    Die Aussicht, wieder nach
Stetten zu kommen, war seine letzte Freude auf Erden gewesen.
    Was war dieses wunderbare
Etwas, das es ihm so angetan hatte?
    1922 sollte in der Anstalt ein
Betriebsrat gebildet werden. Es fand eine geheime Urabstimmung statt. Von 130
Stimmberechtigten erklärten zehn: »Ich arbeite in erster Linie um des Erwerbs
willen.« 107 gaben die Erklärung ab: »Meine Arbeit geschieht in erster Linie
aus Nächstenliebe.« Eine Stimme wurde noch deutlicher: »Ich diene in erster
Linie meinem Herrn und Heiland an seinen Armen und Elenden nach Matth. 23,40.«
    Es gab also Menschen, die nicht
um des äußeren Lohnes, sondern um des inneren Segens willen dienen wollten.
Damit mußte das wunderbare Etwas zusammenhängen.
    Zehn Jahre später drückte es
ein Bub, der vorher in einer anderen Anstalt gewesen war, so aus: die frühere
Anstalt sei eine Hiebanstalt, Stetten aber sei eine Lachanstalt. Kein Wunder,
daß es ihm in Stetten besser gefiel.
    Aus der Liebe kommt von selber
die Freude. Und wo ein Mensch Freude erlebt, da kann er sich auch heimisch
fühlen.
     
    Da war z. B. Friedrich, der
Senior des Knabenhauses, der 1888 mit zwölf Jahren in die Anstalt eingetreten
war. Als er um die Sechzig war, saß er noch immer in der Schneiderei und
flickte und stopfte Strümpfe. Er war einst als Epileptiker in die Anstalt
gekommen, aber seine körperlichen

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