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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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Scheuer abgebrannt — Stall und Scheuer
abgebrannt! »Christus, erbarme dich! Herr, erbarme dich!«
    In dem überfüllten Arbeiterzug,
den er am frühen Morgen von Stuttgart aus benützen mußte, wurde schon über den
neuen Brandfall in Stetten eifrig diskutiert. Auf einer Bank hinter ihm sagte
einer:
    »Das ist der Lohn dafür, daß
man diese Halb- und Dreiviertelsdackel noch verhätschelt! Denen hat das Feuerle
am letzten Mittwoch natürlich gefallen. Da hat sicher einer gedacht: Das kann
ich auch, guck nur, wie schön das brennt! Nicht verwohnen, totschlagen sollte
man sie!«
    »Oho«, erwiderte ein anderer,
»da bist du falsch verbunden! Das ist ein Racheakt, nichts weiter. Was glaubst
du, wie die armen Teufel ausgenützt werden! Die haben’s ja schlimmer als im
Gefängnis, die müssen den ganzen Tag schuften und bekommen keinen Pfennig
dafür. Das stand neulich sogar einmal in der Zeitung.«
    »Ist das nicht ein Witz, daß
das ausgerechnet am Sonntag passiert ist?« meinte ein dritter. »Morgens führt
man sie in Marschkolonne wie früher beim Kommis in die Kirche, und nachmittags
zünden die Burschen die Bude an. Das ist die rechte Antwort drauf. Das kommt
davon, wenn man ihnen schöne Märchen erzählt, statt daß man ihnen einen
anständigen Lohn zahlt. Und da gibt’s heutzutage noch Dumme genug, die so etwas
unterstützen. Ausräumen sollte man das ganze Nest, dann würden diese Menschen
nicht noch mehr verblödet, als sie es schon vorher sind.«
    »Redet doch nicht so dumm
daher«, mischte sich jetzt eine resolute Frau ins Gespräch. »Seid ihr
vielleicht schon einmal in der Anstalt gewesen? Habt ihr schon gesehen, was da
für ein Elend ist? Fraget einmal die Eltern, die ein Kind dort haben, wie froh
und dankbar die sind, daß sie es gut versorgt wissen! Habt ihr schon einmal
einen gesehen, wenn er seinen Anfall bekommt? Ihr würdet ihn liegenlassen, ihr
hättet Angst davor, aber die nehmen sich seiner an. Was die an den Kranken tun,
das möchte ich nicht einen Tag lang machen. Wer soll’s denn tun? Vielleicht die
Polizei? Seid froh, daß es noch Leute gibt, die so etwas um einen Gotteslohn
machen. Ich kenn eine Kranke, die ist schon zwanzig Jahre in Stetten, die möcht
gar nicht mehr anderswohin, im Gegenteil, ihr gefällt’s daheim nicht mehr. ›Stetten
ist meine Heimat‹, hat sie einmal gesagt. So ein Haus müßte man bauen, wenn es
nicht schon 70 oder 80 Jahre lang da wäre.«
    Die Männer schwiegen betreten.
Der Inspektor sah sich um. So also dachte das Volk! Er hätte aufstehen und der
Frau die Hand drücken mögen, aber in dem Gedränge ging es nicht an. Welches
Unheil hatte das Feuer angerichtet auch in den Herzen! Oder hatte es mit seinem
Flammenschein die wirkliche Lage nur grell beleuchtet?
     
    Endlich war der Zug am Ziel. Endlich
erfuhr er, was sich alles zugetragen hatte:
    Nachmittags, während der
Christenlehre, hörte man plötzlich Rufe: »Feuer! Feuer!«, und schon sah man
auch Rauch aus der Scheune aufsteigen.
    Zunächst ging es zu wie in
einem aufgescheuchten Ameisenhäufen, aber bald eilte jeder auf seinen Posten.
Die Feuerwehren von Stetten und Waiblingen wurden alarmiert und waren in
kürzester Frist zur Stelle. Inzwischen griff das Feuer unheimlich rasch um
sich, auch der Stall fing an zu brennen, schauerlich klang das Brüllen des
Viehs und das Schreien der geängsteten Schweine, aber alles konnte gerettet
werden, auch die verscheuchten Hühner. Bereitwillig nahmen die Stettener Bauern
das Vieh in ihren Ställen auf und versorgten es.
    Eine Zeitlang sah es so aus,
als wenn auch das Männerhaus mit seinen 84 Pfleglingen gefährdet wäre, aber dem
besonnenen und tapferen Eingreifen der Feuerwehren gelang es, das Feuer
einzudämmen, so daß nur Scheune und Stall dem Brand zum Opfer fielen.
    Obwohl der Brandplatz weithin
abgesperrt war, starrte alles mit großen, entsetzten Augen in die auflodernden
Flammen. Die Kinder zeigten einander die mächtigen Wasserstrahlen, bewunderten
die Feuerwehrmänner auf ihren Leitern, schrien auf, wenn funkensprühend Balken
zusammenstürzten oder brennende Garben in die Luft geschleudert wurden. Manche
hatten Angst, aber vielen bereitete das unheimliche Schauspiel eine aufregende
Freude.
    Allgemein vermutete man
Brandstiftung. Es war ein furchtbarer Gedanke, mitten in der Anstalt einen
Brandstifter zu wissen. Manche meinten, nun könne man keine Nacht mehr ruhig
schlafen. Schrecklich war, daß der Täter es verstand, sich im Verborgenen

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